Nachwort:
(niedergeschrieben am 27.Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus)

Die greifbaren Ergebnisse meiner Forschungen habe ich nun geschildert, doch sind bei mir durch die intensive Beschäftigung mit der Geschichte der DDR auch einige Unstimmigkeiten aufgefallen, die mit der deutschen Vergangenheit zusammen hängen. Im täglichen Leben begegnet einem nahezu an jeder Straßenecke die Verdrängung und Verwischung des Geschehenen in besorgniserregender Form. Ich möchte an dieser Stelle einmal ausdrücklich darauf hinweisen, wie vorsichtig doch mit der SED umgegangen werden sollte. Sie transportiert nach wie vor ihr Gedankengut über die modernen Massenmedien, heute nur unter anderem Namen: PDS. Beispiel gefällig? Am 10. Januar 1999 informierte ich mich, wie gewöhnlich, in der Tagesschau um 20 Uhr über die Geschehnisse der vergangenen 24 Stunden. Doch was ich sah und hörte, ließ die Wut in mir aufkochen: Der Beitrag zeigte Gregor Gysi und die PDS bei ihrem alljährlichen Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Herr Gysi, der eifrig dabei war, den 80. Todestag der beiden Vordenker des Sozialismus zu feiern, wurde von einem Journalisten gefragt, ob es der PDS denn eigentlich gar nichts ausmache, daß sie mit ihrer Feierstunde eine alte Tradition der SED in aller Öffentlichkeit fortführe. Die Antwort folgte auf den Fuß: "Sicherlich dürfen wir nicht das beschönigen, was in der DDR abgelaufen ist, jedoch wollen wir aber mal auch nicht die Machenschaften der Bundesrepublik zu der Zeit vergessen." Und mit einem süffisanten Lächeln grinste er in die laufenden Kameras. Doch damit nicht genug der Provokationen. Es scheint mir nämlich so, als sei man mehr denn je gewillt, die ganze Vergangenheit zu vergessen, wenn ich die Diskussionen im Bundestag einmal genau ansehe. Da wird doch allen Ernstes verhandelt, Rainer Rupp, alias "Topas" ein politisches Amt zuzuspielen, obwohl die Vergangenheit dieser Person als hochaktiver Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR längst aufgeflogen und auch bekannt ist. Es wird sogar ernsthaft diskutiert, den zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Agenten als "Freigänger" die ihm zugedachte parlamentarische Tätigkeit ausüben zu lassen. Aber dies erregt m.E. viel zu wenig Aufsehen. Bei einem Großteil der Politiker der PDS scheint die Fähigkeit, eigenes Tun mit dem Gewissen zu verarbeiten, kaum (oder nicht) vorhanden zu sein, wie man an diesem und anderen Beispielen sehen kann. Selbst in der höchsten Etage des ehemaligen Zersetzungsapparates der DDR, bei Erich Mielke nämlich, ist keinerlei Vergangenheitsbetroffenheit zu erkennen. Jemand, der so viele Leben zerstört hat, wie er, wird zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt (was ich bei dem, was er den Opfern seines Regimes angetan hat, absolut lächerlich finde!!) und die Haft wird schließlich wegen angeblicher Haftunfähigkeit ausgesetzt. Doch trotzdem besitzt er auch noch die Dreistigkeit, heute für den Zeitraum, den er in Untersuchungshaft saß, von der Bundesrepublik Haftentschädigung zu fordern. Dies ist ein Schlag ins Gesicht für alle diejenigen, die unter Personen wie Erich Mielke gelitten haben und ihretwegen langjährige Haftstrafen unter teilweise verschärften Haftbedingungen ertragen mußten, während Herr Mielke wegen "gesundheitlicher Probleme" seine Strafe nicht verbüßen mußte. (Q100) Die damaligen Gefangenen haben in Haftanstalten wie Bautzen II, einem alten Kellergefängnis, das die DDR direkt von den Nazis übernahm, in Kälte und völliger Isolation gehaust. - Zum "Dank" dafür werden sie und ihre Schicksale heute vergessen. Die Menschen, die aus ähnlichen Gründen wie Professor Frucht, hinter Gitter gebracht wurden, sind diejenigen, die aktiv, mit eigenen Händen und mit eigener Verantwortung etwas für den Frieden und die Menschlichkeit getan haben, doch keiner spricht über sie. Alljährlich werden Friedensnobelpreise vergeben - und für wen? Für Menschen, die wohlbehütet und in gepanzerten Limousinen an Orte gefahren werden, an denen sie mit ihrer Unterschrift und ihren Worten für den Weltfrieden sorgen. Jeder, der in der DDR seine Familie, seinen Besitz und fast immer auch sein Leben aufs Spiel setzte, hat mehr Ehrenwertes getan. Neben einem so selbstlosen Einsatz, wie dem Professor Fruchts, der für humanitäre Ziele uneigennützig kämpfte, wirken einige unserer heutigen Medienhelden ganz klein! Alle Menschen, die ich im Rahmen meiner Forschungsarbeit befragt habe, waren von der Person Professor Fruchts und seiner Tat beeindruckt. Bücher, in denen Opfer des ehemaligen DDR-Staates ihre Erinnerungen zur Warnung vor Wiederholung aufgeschrieben haben, verschwinden erstaunlich schnell immer wieder vom Buchmarkt, so als wolle man ihre Warnungen nicht hören.
Nicht nur psychisch leiden die Opfer von damals noch unter den Verfolgungen der "sozialistischen Diktaturinstrumente". Nach wie vor haben viele immer noch materielle Nachteile von ihrer tragischen Vergangenheit. Ich stieß bei meinen Recherchen auf einen solchen Fall: Alfred Albrecht. Er war für einige Zeit Zellengenosse von Adolf-Henning Frucht und leidet heute noch unter den Repressalien aus der DDR-Zeit. Von der SED (Justiz kann man schlecht sagen) wurde er wegen (angedichteter) Wirtschaftsspionage zu einer langen Zuchthausstrafe verurteilt. Doch auch die deutsche Wiedervereinigung brachte dem unschuldig Verurteilten keine Erleichterung: Weil der Tatbestand der Wirtschaftsspionage nicht im Einheitsvertrag festgehalten ist, hat die unrechtmäßige Verurteilung nach wie vor Wirksamkeit. Er ist nicht rehabilitiert worden und wird immer noch wie ein Verbrecher behandelt. Was bitte sollen solche Menschen über Gerechtigkeit denken, wenn noch nicht einmal der Staat an sie denkt? An allen Ecken und Enden versucht die PDS über das Geschehene den Mantel des Vergessens zu breiten (wie große Teile der Bevölkerung der ehem. DDR übrigens auch) und sogar schon wieder die Allgemeinheit ideologisch zu unterwandern. Das Schlimme daran ist, daß sich heute nur wenige Menschen gegen diese Entwicklung wehren können, weil sie über die wahren Verhältnisse zu schlecht informiert (worden) sind. Während nach dem Zweiten Weltkrieg sehr schnell damit begonnen wurde, das Vergangene zu dokumentieren und die Bevölkerung aufzuklären, so kann ich heute, zehn Jahre nach dem Ende der DDR eine entgegengesetzte Entwicklung erkennen - wo ja jetzt in Mecklenburg - Vorpommern die umbenannte SED schon wieder an der Regierung beteiligt ist. Niemand hätte 1955 ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, der NSDAP, oder einer ihrer Nachfolgeorganisationen, politische Verantwortung zu übertragen.

Die Verdummung der Bürger muß aufgehalten werden und es sollte nun schnellstens damit angefangen werden, die bisher versäumte Weitergabe der Information über die tatsächlichen Geschehnisse in der ehemaligen DDR nachzuholen. Ich weiß von Herrn Karl-Willhelm Fricke, daß er in einer Enquête-Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit der DDR vertreten war. Dieses Gremium hat sehr präzise und aufschlußreiche Forschungen betrieben, die eine Menge Geld gekostet haben. Und die Ergebnisse? Sie sind in einem riesigen Werk mit mehreren Bänden veröffentlicht worden, das aber so teuer ist, daß es wohl kaum einer lesen wird. Noch nicht einmal die Abgeordneten des Bundestages scheinen sich dafür zu interessieren. Von der Tatsache, daß sie offenbar auch andere Informationen, die sie direkt von der Kommission zugeleitet bekamen, nicht gelesen oder verstanden haben, ganz zu schweigen. Wie kann man sich sonst erklären, daß über ein Amt für den Ex-Spion "Topas" überhaupt diskutiert werden muß?

Auf mangelndes Interesse ist die gravierende Bildungslücke des deutschen Volkes wohl nicht zurückzuführen. Noch nicht einmal ich, als Schüler der gymnasialen Oberstufe, fühle mich ausreichend über die wichtigsten Zusammenhänge informiert. Im Lehrbuch für Sozialkunde der zehnten Klasse finde ich eine wunderschöne Auflistung von Daten und Personen, die für die deutsche Wiedervereinigung wichtig waren. Aber: was zu lesen ist, ist ausschließlich zahlenmäßiger geschichtlicher Unterrichtsstoff. Über Hintergründe und politische Situation, über Recht und Lebenszustände in der DDR erfährt der Schüler nichts. Wäre es hier nicht sinnvoller, statt des puren Zahlen paukens einmal ein Buch eines durch die Repressalien der DDR Betroffenen während der Unterrichtszeit einmal zu lesen und zu diskutieren?

Ich halte es für sehr wichtig, daß jetzt mit der Aufarbeitung und Veröffentlichung von Fakten begonnen wird, denn am Beispiel meiner Arbeit über Professor Frucht kann man sehen, wie schnell und überraschend durch den Tod von Zeitzeugen haufenweise Informationen für immer verloren gehen.
Vergessen wir die Opfer des Regimes nicht und sorgen wir dafür, daß es in Zukunft keine weiteren gibt. Es ist unsere Aufgabe, Geschichte weiterhin zu erarbeiten, um eine Wiederholung eines Willkürstaates zu verhindern. Mit dem Gedenken an mutige und weitsichtige Menschen wie Adolf-Henning Frucht können wir solches erreichen. Professor Frucht war ein beeindruckender Mensch, wie mir alle meine Kontaktpersonen in dieser Arbeit versicherten - erhalten wir ein kleines Stück von seinem Idealismus für vielleicht kommende schwierige Zeiten. In diesem Sinne: "Res publica?" - "Die öffentlichen Angelegenheiten müssen weitergetragen werden!"

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