Der Text wurde eingeben von
Kurt Stüber, 1997.
Zweite, korrigierte Version vom 15. April 2001 von Matthias Uthicke
Im Originaltext kommen zwei Auszeichnungsarten vor: kursiver und gesperrt
gesetzter Text.
Beide Arten sind in dieser Abschrift kursiv dargestellt.
Fotos: Die Fotos wurden erstellt von Adriane Menssen auf einer
Teneriffa-Reise vom 22. November 1997 bis 4. Dezember 1997,
also ungefähr zur
gleichen Jahreszeit wie die Haeckel'sche Reise.
Copyright aller Bilder:
Adriane Menssen, 1998. Eine Liste aller Bilder findet sich unter
ame_slides.html
Eine Besteigung
des Pik von Teneriffa.
Von Ernst Häckel [sic!]
Unter den kleinen Inselgruppen des Oceans, welche durch ihre eigenthümliche
Natur sowohl das allgemeine Interesse der Seefahrer, als die besondere
Wißbegierde
der Naturforscher erregen, nimmt die Gruppe der canarischen Inseln einen
hervorragenden Rang ein. Da dieser kleine Archipel, zwischen 27. und
30. Grad nördl.
Breite gelegen, nur wenige Tagereisen von Spanien und von der nordwestlichen
Küste Afrika's entfernt ist, so war die Kunde von
demselben schon lange vor Christi Geburt durch phönicische Seefahrer
zu den alten Griechen und Römern gedrungen. Die blühenden Schilderungen,
welche ihre Entdecker von der wunderbaren Schönheit, dem unvergleichlichen
Klima und dem natürlichen Reichthum dieser atlantischen Inseln entwarfen,
trugen ihnen schon damals den Namen der glückseligen («Insulae
fortunatae») ein. Der althe Mythus von den elysäischen Gefilden,
die am Rande der Erde mitten in dem weltumgürtenden Okeanos, weit jenseits
der Hesperiden-Gärten und jenseits der Säulen des Herkules liegen,
schien durch diese Inseln zur vollen Wahrheit zu werden. Wie wenig übertrieben
diese, wenn auch dichterisch ausgeschmückten Vorstellungen der Alten
waren, mögen die reizenden Naturschilderungen bezeugen, welche noch
in unserem Jahrhundert zwei der größten deutschen Naturforscher,
Alexander von Humboldt und Leopold von Buch, von den canarischen Eilanden
entworfen haben. Von Teneriffa, der in jeder Hinsicht bedeutendsten unter
den glückseligen Inseln, dem eigentlichen Haupt- und Mittelpunkt der
Gruppe, sagt Humboldt: «Gleichsam an der Pforte der Tropen und doch
nur wenige Tagereisen von Spanien gelegen, hat Teneriffa schon ein gut Theil
der Herrlichkeit aufzuweisen, mit der die Natur die Länder zwischen
den Wendekreisen ausgestattet. Im Pflanzenreich treten bereits mehrere der
schönsten und großartigsten Gestalten auf, die Bananen und die
Palmen. Wer Sinn für Naturschönheit hat, findet auf dieser köstlichen
Insel kräftigere Heilmittel als das Klima. Kein Ort der Welt scheint
mir geeigneter, die Schwermuth zu bannen und einem schmerzlich ergriffenen
Gemüthe den Frieden wieder zu geben.»
Unter den vielen einzelnen Merkwürdigkeiten der canarischen Inseln,
welche in Humbold's und Buch's Schilderungen unser Interesse erwecken, stellt
aber wieder ein einziger Gegenstand alle übrigen in Schatten: Das ist
der Pik von Teyde auf Teneriffa, oder der Teyde, wie ihn die Insulaner
schlechtweg nennen. Weit alle übrigen Krater der Inselgruppe überragend,
erhebt sich dieser stolze Centralvulkan aus dem Schooße der atlantischen
Fluth ungefähr zu derselben Höhe, welche unsere schneeschimmernde
Jungfrau im Berner Oberland erreicht. (Die neueren Messungen bestimmen die
Meereshöhe des Pik zu 12,200 Fuß, während einige ältere
Messungen ihm mehr als 13,000 Fuß, andere allerdings auch weniger
als 12,000 Fuß geben.) «Wenn der Krater des Pik, sagt Humboldt,
der seit Jahrhunderten halb erloschen ist, Feuerbüschel ausströmte,
wie der Stromboli-Vulkan auf den liparischen Inseln, so würde der Pik
von Teneriffa, einem riesigen Leuchtthurm ähnlich, dem Schifffahrer
in einem Umfang von mehr als 260 Meilen zur Richtung dienen.» So werden
wir es nicht wunderbar finden, wenn die Alten in dieser mächtige
Felsenpyramide
den Grundpfeiler gefunden zu haben glaubten, dessen mächtige Schultern
das Himmelsgewölbe tragen, und wenn in ihrer dichterischen Phantasie
der Teyde ebenso zum Atlas wurde, wie glückseligen Inseln zu den elysäischen
Gefilden.
Aber nicht die gewaltige Felsmasse, die imposante Pyramiden-Gestalt und
die erstaunliche Höhe, bis zu welcher der Pik sich mitten aus dem atlantischen
Ocean erhebt, haben ihn zu einem der berühmtesten Berge gemacht. In
noch viel höherem Maaße haben dazu die Naturschönheiten
beigetragen, die seinen Fuß umgürten, und die geologischen Merkwürdigkeiten,
die sein Haupt krönen. Man kann nicht Humbold's glänzende Schilderung
des Orotava-Thales lesen, ohne von lebendiger Sehnsucht nach diesem
Paradiesgarten
ergriffen zu werden; und man kann sich nicht in Buch's meisterhafte
Darstellung
von den vulkanischen Wundern des Pik vertiefen, ohne die lebhafteste Begierde
nach ihrem unmittelbaren Anblick zu empfinden. Dazu gesellt sich für
den Naturforscher noch das tiefere Interesse für die classische Bedeutung,
welche der Pik durch Buch's und Humbold's Untersuchungen für die Geologie
und für die Pflanzengeographie gewonnen hat.
Schon in früher Jugend war durch diese Darstellungen die Wanderlust
nach dem Pik von Teneriffa mächtig in mir angefacht worden, und die
Spannung war daher nicht gering, in der ich im November 1866 dem langersehnten
Reiseziele mich wirklich näherte. Diese Spannung war um so größer,
als meine Absicht, Teneriffa zu besuchen, beinahe unmittelbar vor ihrer
Erfüllung gescheitert wäre. Als ich nämlich, von London kommend,
mit meinen drei Reisegefährten (einem Bonner Privatdocenten, Dr. G.,
und zwei Jenenser Studenten, Herren M. und F.) auf Madeira landete, erfuhren
wir zu unserer großen Bestürzung, daß wahrscheinlich während
des ganzen Winters sich keine Gelegenheit finden werde, um von Madeira nach
den canarischen Inseln hinüberzufahren. Die einzigen Schiffe, welche
einen regelmäßigen Verkehr zwischen diesen beiden Inselgruppen
unterhalten, sind die englischen Westafrika-Dampfer, welche jeden Monat
von London über Madeira und Teneriffa nach der west-afrikanischen Küste
gehen. Wegen der Cholera-Epidemie in London und wegen des gelben Fiebers
an der afrikanischen Küste war aber im Herbst 1866 diesen Dampfern
schon seit mehreren Monaten jeder Personen-Verkehr mit Madeira und den Canaren
von der Gesundheits-Behörde, die in den Häfen dieser Inseln sehr
streng ist, untersagt.
Aus dieser Bedrängniß wurden wir ganz unerwartet durch ein preußisches
Kriegsschiff, die «Niobe», gerettet. Diese schöne Segelfregatte
lag eben im Hafen von Funchal, als wir dort ankamen, und wollte schon in
den nächsten Tagen ihre Uebungsfahrt nach Teneriffa weiter fortsetzen.
Commandant derselben war Capitän Batsch, ein geborener Weimaraner und
Enkel des Professor Batsch, welcher zu Göthe's [sic!] Zeit in Jena Botanik
lehrte. Dieser ebenso ausgezeichnete als liebenswürdige See-Officier,
welchem ich unsere bedrängte Lage schilderte, gewährte uns mit
dankenswerthester Zuvorkommenheit die Erlaubniß, unsere Ueberfahrt
nach Teneriffa auf der Niobe zu bewerkstelligen, und die übrigen
Schiffs-Officiere,
deren Gäste wir während dieser Zeit wahren, thaten Alles, um uns
diese Ueberfahrt so angenehm als möglich zu machen.
Es war am frühen Morgen des 21. November, als wir in unsern Hängematten
durch den Ruf geweckt wurden: «der Pik, der Pik!» Schnell rieben
wir den Schlaf aus unsern Augen und stürzten auf das Verdeck. Ja, da
lag er wirklich und leibhaftig vor unsern Blicken, der ersehnte Berg. Klar
und scharf zeichnete sich die regelmäßige Pyramide des mächtigen
silbergrauen Gipfels auf dem dunkelblauen Himmelsgewölbe ab, und wie
ein breites Piedestal, einer Mauerzinne ähnlich crenellirt, streckte
sich weit nach Ost und West hin zu seinen Füßen die felsige Nordküste
der Insel Teneriffa. Die Wolkendecke, welche am vorhergehenden Tage den
Himmel verschleiert und den fernen Pik unsern Blicken entzogen hatte, war
allenthalben durchbrochen und nur zerrissene Fetzen derselben hingen noch
als einzelne schmale graue Bänder in mehreren Stockwerken hier und
dort über einander; einige schienen ringförmig den Kegel des Pik
zu umgeben. Gegen den Nachmittag hin zogen sich diese Wolkenreste dichter
zu einem einzigen grauen Ringe zusammen, welcher sich um den eigentlichen
Fuß des Piks herumlagerte und denselben gänzlich von der breiten
Nordküste der Insel abtrennte, der wir uns mehr und mehr näherten.
Doppelt herrlich und mächtig erhob sich nun die gewaltige weiße
Pyramide über der grauen Wolkendecke, die auf dem niederen Vorland
lagerte, und schon konnten wir mit dem Fernrohr scharf die einzelnen Zacken
der Küstenmauer unterscheiden. Was bedeutete aber die helle, fast
silberglänzende
Farbe des Pyramiden-Gipfels? War es wirklich Schnee oder war es nur der
strahlende Reflex des Sonnenlichts von der weißgrauen Bimsstein-Decke,
die den obersten Theil des Pik überlagert, und von der wir aus den
Reisebeschreibungen wußten, daß sie auch mitten im Sommer, wo
gar kein Schnee auf dem Pik liegt, den Seefahrer täuscht, und ihm einen
beschneiten Gipfel vorspiegelt? War es wirklich Schnee, so stand es
vermuthlich
schlimm um unsere beabsichtigte Ersteigung des Gipfels, und daher betrachteten
wir diesen verdächtigen Silberglanz mit Zweifel und Mißtrauen.
Unsere Ungeduld, den Boden von Teneriffa zu betreten, der scheinbar schon
so nahe, in Wirklichkeit aber wohl noch fünf oder sechs Meilen entfernt
lag, war nicht gering. Sie wurde aber noch auf eine harte Probe gestellt.
Denn widriger Wind nöthigte unsere Segelfregatte zu kreuzen und nur
langsam konnten wir uns nähern. Gegen Abend hüllte sich der Pik
wieder in einen dichten Wolkenschleier. Als wir am andern Morgen
erwartungsvoll
auf das Verdeck traten, erblickten wir die Küste unserm Schiff ganz
nahe. Es war aber nicht die Küste von Teneriffa, sondern von Gran Canaria,
einer Insel, welche beinahe einen Breitengrad weiter nach Südosten
liegt, in der Mitte durchschnitten vom 28. Breitengrade, welchen die
südlichste
Spitze von Teneriffa so eben berührt. Bald schwellte jedoch ein günstiger
Wind die vollen Segel unserer Fregatte, welche nun ihren Cours nach Nordwesten
nahm und um 12 Uhr Mittags am 22. November, auf der Rhede von Santa Cruz,
die Anker fallen ließ.
Santa Cruz ist die Hauptstadt von Teneriffa und zugleich Sitz der
canarischen Regierungs-Behörden, und wurde als solche von unserem
Kriegsschiffe
mit 21 Kanonenschüssen salutirt, welche die Strandbatterien alsbald
erwiederten. Die Stadt liegt am Südrande sehr nahe der nordöstlichen
Ecke der Insel, deren dreieckige Gestalt große Aehnlichkeit mit der
Insel Sicilien hat. Bei beiden Inseln streicht die Nordküste von ONO.
nach WSW. Während aber die kürzeste Seite des Dreiecks bei Sicilien
nach Osten schaut, ist sie bei Teneriffa umgekehrt nach Westen gerichtet.
Die Gebirgskette, welche beide Inseln durchschneidet, wurd auf beiden von
einem ungeheuren Centralvulkan überragt. Während aber der 10,000 Fuß hohe Etna
sich im östlichen Theile Siciliens erhebt, liegt der 12,000 Fuß hohe Teyde mehr
im westlichen Theile von Teneriffa.
Der Anblick, welchen Santa Cruz und
die nächstgelegene Südostküste Teneriffa's vom Meere aus gewähren, ist ziemlich öde und bleibt
weit zurück hinter dem entzückenden Bilde, welches uns in der
vorhergehenden Woche bei unserer Landung auf Madeira empfangen hatte. Funchal,
die reizende Hauptstadt von Madeira, liegt in einem weiten, äußerst
fruchtbaren Thalkessel, der von allen Reisenden mit vollem Rechte als wahres
Paradies gepriesen wird. Lichtgrüne Zuckerrohr-Plantagen zieren den
Fuß der üppig bewaldeten Berge, welche sich in malerischen Formen
über der Bai von Funchal erheben. Die zierlichen Häusergruppen,
die staffelförmig an den Berggehängen emporsteigen, sind von der
reizendsten Vegetation umgeben. Eine eben so warme als feuchte Atmosphäre
macht die Insel zu einem natürlichen Treibhaus. Als wir auf Madeira
zum ersten Male unsern Fuß auf außereuropäischen Boden
setzten, glaubten wir uns schon mitten in den Tropen zu befinden. Ganze
Haine von Bananen und Bambusen, Palmen und Euphorbien, und zahlreiche andere
tropische Gewächse, von den prachtvollsten Blüthen überschüttet
und von Schlingpflanzen umrankt, blendeten durch ihren bunten Farbenglanz
unser entzücktes Auge und erfüllten die Luft mit balsamischen
Wohlgerüchen. Und als wir die portugiesisiche Stadt Funchal betraten,
welche in den letzten Jahren durch die Vorliebe der Engländer thatsächlich
eine englische Colonie geworden ist, mußten wir den Geschmack bewundern,
mit welchem dieselben diesen Garten Edens benutzt und durch Anbau der
reizendsten
Landhäuser zu einem unvergleichlichen Aufenthalte gemacht haben.
Welcher Contrast zu der Hauptstadt des spanischen Teneriffa! Oede und beinahe
von Pflanzenwuchs entblößt, liegt die weiße Häusermasse
von Santa Cruz an dem Fuße einer schwarzen oder braunschwarzen zackigen
Gebirgskette von äußerst wildem und ungastlichem Charakter. Abgesehen
von einigen kleinen Gärten und den einförmigen Cactus-Pflanzungen
auf dem flacher abfallenden Vorlande, sowie von einer Anzahl Palmen, die
zwischen den Häusern zerstreut sind, ist von Vegetation fast Nichts
zu bemerken. Die nackte Gebirgskette von basaltischer Lava sieht mit mit
ihren schwarzen, düstern Schluchten und ihrem wild zerrissenen Rücken
fast so aus, als ob sie eben erst dem vulkanischen Schooße der feuerspeienden
Insel entstiegen wäre. Als wir in glühender Mittagshitze die einförmigen
Straßen der Stadt betraten, schlug uns ein trockner und heißer
Luftstrom wie aus einem Backofen entgegen. Straßen und Plätze
waren menschenleer und die grünen Jalousien der weißen Häuser
völlig geschlossen. Nur einige schwer beladene Camele wanderten langsam,
mit schwerfälligem Schritte, dem Hafen zu. Nachdem wir ein gastliches
Obdach für die nächsten Tage gefunden hatten, eilten wir, aus
der öden Stadt in's Freie zu gelangen, und wandten unsere Schritte
zunächst nach einer von den wilden Schluchten oder Barrancos, welche
zunächst im Osten von Santa Cruz tief in die Gebirgskette der Añaga
einschneiden. Wir hofften im Grunde der Schlucht, welche den Namen Valle
Ameide führt, Schatten und Kühlung zu finden. Aber der Bergstrom,
welcher in der Regenzeit tobenden Laufes und in zahlreichen Wasserfällen
hier herabstürzt und mächtige Lavablöcke dem Meere zuführt,
war versiegt. Von Bäumen war keine Spur zu sehen, abgesehen von einzelnen
schattenlosen Dattelpalmen und von canarischen Tamarisken, deren Zweige,
mit ganz kleinen graugrünen Blättchen bedeckt, ebenso wenig Schatten
zu verbreiten vermochten. Auch die spärliche Vegetation, welche hier
und da aus den Felsritzen des nackten schwarzen Lavabodens hervorsproßte,
war nicht schön, obwohl in hohem Maaße interessant.
Schon aus der Ferne hatten wir auf dem dunklen Lava-Gestein zahlreiche
blaugrüne
Flecken bemerkt. Als wir jetzt einem solchen Flecke uns näherten, wurden
wir durch eine der wunderbarsten Pflanzengestalten überrascht. Was
ist das für ein seltsames Gewächs, kein Baum, kein Strauch, kein
Kraut! Nichts ist da als ein Haufe von dichtgedrängten, langen, vierkantigen
Säulen von matt blaugrüner Farbe, welche einander parallel senkrecht
aufsteigen. Nur am Grunde, wo die kleineren Säulen von größeren
sich abzweigen, sind sie leicht gebogen, nacht Art eines Armleuchters. Die
größten und stärksten Säulen, so dick wie ein Mannesarm,
erheben sich bis zu 16 Fuß Höhe. Statt der Blätter sind
die starren Pfeiler mit Stacheln bedeckt. Wir glauben einen riesigen
Armleuchter-Cactus zu erblicken. Aber wir sind ja in Afrika, und nicht in Amerika,
der eigentlichen Heimath der Cactuspflanzen. Ich will eine Säule abschneiden,
da spritzt mir aus der verletzten Rinde ein Strom von dickem weißem
Milchsaft entgegen und ich erkenne die berühmte cactusartige Wolfsmilch
(Euphorbia canariensis), eine der bedeutendsten Charakterpflanzen
der Inseln, welche von den Spaniern el Cardon genannt wird. Der scharf giftige
Milchsaft wird eingetrocknet als Arznei benutzt. Neben dieser seltsamen
Armleuchter-Wolfsmilch entdecken wir bald noch eine andere Euphorbia-Art,
die Fischer-Wolfsmilch (Euphorbia piscatoria), welche kleine Bäume
bildet, und deren scharft giftiger Milchsaft von den Fischern zum Vergiften
der Fische benutzt wird. Die canarischen Inseln sind an Euphorbien überaus
reich. Mehr als 20 verschiedene Arten finden sich hier; mehrere derselben
erheben sich zu starken, dicht verzweigten Bäumen. Eine davon, die
süße Wolfsmilch (Euphorbia balsamifera), welche wir auf
den Strandklippen hinter den Küstenbatterien von Santa Cruz fanden,
gleicht unsern Wachholderbüschen, und ist ausgezeichnet durch den süßen,
nicht giftigen Milchsaft, welcher eingedickt als Gelée verspeist
werden soll.
Zwischen diesen Euphorbien wuchsen auf den Felsen des Barranco zerstreut
kleine Büsche mit gegliederten, fleischigen, nur an der Spitze
blättertragenden
Aesten, die wir ebenfalls für eine baumartige Wolfsmilch hielten. Aber
beim Abbrechen der Zweige entleerte sich kein Milchsaft, und bald entdeckten
wir einzelne gelbe Compositenblüthen an ihnen, welche uns sofort zeigten,
daß wir eine von den Euphorbien weit entfernte Pflanze vor uns hatten.
Es war die Kleinia nereifolia, eine unserm Huflattig [sic!] nahe
verwandte Composite. Die auffallende Aehnlichkeit in der ganzen Tracht, welche zwei
im Systeme, d. h. im Stammbaum, so weit von einander entfernte Pflanzen
zeigen, erklärt sich einfach durch die Anpassung an gleiche Lebensbedingungen.
Noch ein kleiner Strauch, den wir zwischen den Euphorbien und Kleinien in
der Valle Ameida fanden, mag hier erwähnt werden, weil er gleich jenen
Beiden zu den bedeutendsten Charakterpflanzen der canarischen Inseln gehört.
Das ist die Plocama pendula, ein Busch von 8--10 Fuß Höhe,
welcher mit unserm Waldmeister und Geisblatt, aber auch mit dem auf Teneriffa
cultivirten Caffeebaume in eine und dieselbe Familie gehört. Mit ihren
zahllosen feinen niederhängenden Zweigen und schmalen dünnen Blättern
gleicht die Plocama einer Trauerweide im Kleinen. Während meine Reisegefährten
tiefer unten zwischen den Felsen umherstiegen, war ich höher in die
Ameida-Schlucht hinaufgeklettert, und gelangte hier zu einigen Bauernhütten,
welche von Cactus-Pflanzungen umgeben waren. Vor den niederen Hütten
spielten nackte braune Kinder, und bei meiner Annäherung stürzte
mir eine Schaar von großen halbwilden Hunden laut bellend entgegen.
Diese wolfähnlichen Thiere, Perros genannt, die in großer Anzahl
auf den Inseln leben und gegen die wir uns später noch oft mit den
Stöcken zu wehren hatten, erinnerten mich an die großen Hunde,
welche den canarischen Inseln ihren Namen gegeben haben. Zur Zeit von Christi
Geburt sangte Juba, der tapfere König von Numidien, einige Schiffe
nach den glückseligen Inseln aus, welche zuerst genauere Nachrichten
darüber nach der Mittelmeerküste brachten. Diese Expedition, die
älteste und einzige des Alterthums, von der wir nähere historische
Kunde besitzen, brachte dem Könige als Geschenk ein Paar riesige Hunde
mit zurück, und von diesen empfing der ganze Archipel seinen Namen:
«Hunde-Inseln» (canariae).
Die Bauernhütte, in welche ich eintrat, war gleich jenen, die wir später
auf den andern Inseln überall wiederfanden, äußerst einfach,
ein viereckiger, aus Lavablöcken aufgebauter und weiß angestrichener
Würfel mit plattem Dach und nur einer einzigen Oeffnung, welche Thüre,
Fenster und Schornstein in einer Person darstellte. Eben so einfach war
der rohe Hausrath, aus einem Tische, einem großen Bett für die
ganze Familie und einigen Stühlen bestehend. An den weiß übertünchten
Wänden hingen Kochgeschirre, Kleider, Heiligenbilder und Ackergeräth
bunt durcheinander. Die Bauersleute bewillkommneten mich mit der bei den
Insulanern allgemein verbreiteten Gastfreundlichkeit, verbunden mit dem
edlen Anstande und der stolzen Förmlichkeit, welche den Nachkommen
der alten Spanier wohl geziemt. Zur Erfrischung setzten sie mir Bananen
oder Paradiesfeigen vor, in ihrem spanischen Dialecte Platanos genannt.
Diese köstliche Frucht gehört zu den segensreichsten Erzeugnissen
der Tropenzone. Für vielen Tropengegenden ist sie das Haupt-Nahrungsmittel,
und einen kleine Bananenpflanzung genügt, um einer ganzen Familie mühelos
den Jahresunterhalt zu gewähren. Die Früchte der Bananen oder
Musen haben die Größe und Form einer mittleren Gurke. Unter der
dicken gelben oder grünen Schaale, welche sich leicht ablöst,
kommt ein weiches gelbes Fruchtfleisch zum Vorschein, das im Ganzen Geschmack
und Consistenz eines mehligen Apfels hat, aber verbunden mit einem köstlichen
Aroma, das dem der Ananas ähnlich ist. Auch in Scheiben geschnitten
und Oel gebacken schmecken die Früchte ausgezeichnet. So herrlich die
Frucht, so wunderschön ist die Pflanze der Banane, ohne Zweifel eine
der größten Zierden der Tropen-Vegetation. Obwohl ich die Banane
schon in Sicilien und in Portugal im Freien blühend gesehen hatte,
fand ich sie doch auf Madeira und Teneriffa zum ersten Male in ihrer ganzen
tropischen Fülle. Ein schlanker, grüner Stamm, welcher sich gerade
und unverästelt zu 20--25 Fuß Höhe erhebt, trägt oben
eine Krone von wenigen, nur 16--20 Blättern. Diese Blätter sind
aber prachtvoll, jedes einzelne 6--10 Fuß lang und 1 bis 2 Fuß
breit, zierlich zurückgebogen und mit dem herrlichsten lichtesten Freudiggrün
gefärbt. Das Gewebe der ungeheuren Blattfläche ist so zart, daß
es vom Winde in zahlreiche feine Lappen zerschlitzt wird, die parallel bis
zur mittleren starken Blattrippe verlaufen. So gewinnt das ursprünglich
ganzrandige Blatt Form und Aussehen eines gefiederten Palmenblatts. In der
Mitte der wunderschönen Blätterkrone endigt der Stamm mit einem
duftenden bunten Blüthenschaft, an dem lange Zeit hindurch absatzweise die
herrlichen Früchte reifen. Gewöhnlich steht die Banane auf den
canarischen Inseln in kleinen Gruppen von 8--10 Stück in unmittelbarer
Nähe der Hütten. Auf der Nordseite von Teneriffa aber, zwischen
Icod und Garachico, fanden wir nachher ganze Wälder von Bananen, mit
Dattelpalmen, Bambusrohr und Drachenbäumen gemischt.
Am folgenden Tage besuchten wir einige von den wenigen Gärten, welche
in Sante Cruz und dessen nächster Umgebung zu finden sind. Obwohl von
geringem Umfang, enthalten dieselben doch manche merkwürdige Tropenpflanze,
die Annona, den Kaffeebaum, Brodfruchtbaum, Zimmtbaum, Drachenbaum und die
edle Königspalme von der Havana, mit schneeweißem Stamme und
schneeweißen Blüthen zwischen der dunkelgrünen Blätterkrone
(Oreodoxa regia). Das merkwürdigste aber war uns ein Exemplar
des berühmten afrikanischen Affenbrodbaums (Adansonia digitata).
Von diesen, wie von den canarischen Drachenbäumen existiren noch gegenwärtig
einzelne Stämme, welche zu den ältesten Baumindividuen der Erde
gehören. Mit Sicherheit übersteigt ihr Alter 2000, möglicherweise
sogar 4 oder 5000 Jahre. Die ältesten in Afrika gefundenen Stämme
des Baobab oder Affenbrodbaums, deren Alter man auf mehr als 5000 Jahre
berechnet, erreichen einen Durchmesser von 30 Fuß und einen Umfang
von 90 Fuß. Dabei ist der Stamm nur ungefährt 80 Fuß hoch,
so daß er mit seiner flachen, schirmförmig ausgebreiteten Blätterkrone
einem colossalen Pilze gleicht.
Unter den wenigen öffentlichen Plätzen von Santa Cruz zeichnet sich
ein schöner Promenaden-Platz durch ein Wasserbecken und durch üppige
Pflanzenanlagen aus. Wir hatten am Abend zuvor hier die hübsche Musik
der spanischen Garnison spielen gehört und dabei die Damenwelt von
Santa Cruz bewundert, berühmt durch ihren Wuchs und ihre dunklen, man
könnte sagen vulkanischen Feueraugen. Gleich «den Damen von Sevilla,
mit Fächer und Mantilla», lustwandelten hier die Schönen
in ihren zierlichen, schwarzseidenen Schleppkleidern und erfreuten sich
der Musik und der köstlichen abgekühlten Abendluft. Als wir jetzt
bei Tage diesen Platz wieder betraten, wurden wir durch eine Allee der
prachtvollsten
Wolfsmilchbäume überrascht, hochstämmige Euphorbien, welche
über und über mit riesigen scharlachrothen Blüthen bedeckt
waren. Während wir unser Erstaunen über diese Blüthenpracht
äußerten, wurden wir von einem hinter uns stehenden Herren deutsch
angeredet. Es war ein geborener Schweizer, Namens Wildpret, der seit einigen
Jahren als Director des botanischen Gartens in Orotava angestellt war. Die
Bekanntschaft mit diesem kenntnißreichen und gefälligen Manne
war uns in den folgenden Tagen von großem Nutzen. Wir hörten
von ihm bestätigen, was uns bereits der englische Consul in Santa Cruz
mitgetheilt hatte, daß wir höchstwahrscheinlich bei der vorgerückten
Jahreszeit auf unsern sehnlichsten Wunsch, den Pik zu ersteigen, würden
verzichten müssen; der Vulkan sei bereits weit herab mit Schnee bedeckt,
und unter diesen Umständen die Besteigung des Gipfels ebenso schwierig
als gefährlich. Doch erbot sich Herr Wildpret, uns nach Orotava zu
begleiten und uns bei dem Versuche, möglichst weit von hier aus auf
den Teyde hinaufzusteigen, behülflich zu sein. Es war keine Zeit zu
verlieren, und wir beschlossen, schon am nächsten Tage von Santa Cruz
noch Orotava hinüber zu gehen.
Orotava liegt beinahe in der Mitte der Nordküste von Teneriffa, etwa
8 Stunden von Santa Cruz entfernt. Um dahin zu gelangen, muß man auf
der schönen, neu angelegten Kunststraße den östlichen
Ausläufer des Esperanza-Gebirges überschreiten, eines langen,
vielzackigen Basaltrückens, welcher von dem südwestlich
gelegenen
Pik aus in nordöstlicher Richtung sich bis nach Laguna hinzieht. Laguna,
welches man nach Ueberschreitung des 2000 Fuß hohen
Bergrückens
in 3 Stunden von Santa Cruz aus erreicht, ist eine ansehnliche Stadt, in
einer fruchtbaren Hochebene gelegen. Vor sehr langer Zeit war diese letztere
ein Seebecken, daher auch der Name «Laguna». Früher die Hauptstadt
von Teneriffa, ist Laguna jetzt ziemlich verödet, ihre Straßen
mit Gras bewachsen und ihre Dächer mit einer eigenthümlichen
Localform
des Hauslaub (Sempervivum urbicum) bedeckt. Nur im Sommer belebt
sie sich. Wenn die drückende trockene Hitze in Santa Cruz unerträglich
wird, ziehen alle wohlhabenderen Bewohner nach Laguna hinauf, zur
Sommerfrische.
Die Temperatur bleibt hier in 2000 Fuß Höhe immer sehr
gemäßigt,
durch naheliegende Lorbeerhaine und feuchte Nordwinde gekühlt.
Die nächste Stunde hinter Laguna führt in eine ganz andere Landschaft.
Während man beim Hinaufsteigen von Santa Cruz immer nur über
öde
Lavafelder und durch starre, blattlose Cactus-Pflanzungen wandert, hier
und da einen wilden Barranco überschreitend, glaubt man hinter Laguna
plötzlich, wie durch einen Zauber, aus Afrika in eine fruchtbare Gebirgsgegend
Mitteldeuschlands versetzt zu sein. Reiche Kornfelder bedecken das Thal
in weiter Ausdehnung, eine goldene Aue, wie in Thüringen. Aber die
Camele, welche uns begegnen, und die Agavehecken, welche die Felder
einfriedigen,
erinnern uns sogleich daran, daß wir uns in der warmen Zone, und nicht
im Juli, sondern im November befinden. Die Agave, irrthümlich bei uns
gewöhnlich Aloe genannt, ist in Amerika heimisch, aber hier, wie an
der ganzen Mittelmeerküste, angepflanzt und verwildert; auch wird sie
hier wie dort allgemein zur Einzäunung der Felder benutzt. Mit ihrem
dichten Busche von seegrünen, schwertförmigen, stacheligen Blättern
und mit dem langen, einem riesigen Armleuchter gleichenden Blüthenschafte
ist die Agave für die südeuropäische und die canarische Landschaft
nicht minder charakterbestimmend, als der ebenfalls aus Amerika eingewanderte
Opuntia- oder Cochenille-Cactus. Diese letztere Pflanze ist
gegenwärtig
eine der wichtigsten Nutzpflanzen der canarischen Inseln und bedeckt den
größten Theil des cultivirten Landes, namentlich auch die früheren
Weinberge, die durch die Traubenkrankheit verheert sind. Die hohe Bedeutung
des Cactus beruht nicht auf seinen wohlschmeckenden, saftigen Früchten,
den sogenannten «indianischen Feigen», sondern auf den
Blattläusen,
welche sich von seinen runden, scheibenförmigen, fleischigen Aesten
und Zweigen nähren. Diese Blattläuse, die Cochenille-Thiere (Coccus
Cacti), welche mit der größten Sorgfalt gezüchtet und
abgelesen werden, liefern getrocknet das Carmin, unsern kostbarsten und
werthvollsten rothen Farbstoff. Die Camele, denen wir auf der Straße
nach Orotava begegneten, waren mit Säcken voll dieses wichtigen
Handelsartikels
beladen, die sie nach dem Hafen von Santa Cruz schleppten. Nicht blos als
Lastthier sahen wir die Camele hier benutzt, sondern auch als Zugthier.
Die Bauern, welche gerade einen Theil der Felder pflügten, hatten vor
jeden Pflug ein Camel und daneben einen Esel gespannt. Dieses seltsame
Zwiegespann
ist auf den canarischen Inseln allgemein verbreitet. Schon von den
normannischen
Eroberern, den Bethencourts, wurden die Camele auf den Canaren als Lastthiere
eingeführt. Doch haben sie auf Teneriffa und überhaupt den westlichen
Inseln des Archipels nicht das Gedeihen und die Bedeutung erlangt, wie auf
den beiden östlichen Inseln Lanzerote und Fuerta Ventura, welche der
afrikanischen Heimath der Camele am nächsten liegen und auch bereits
ein ganz afrikanisches Klima und Aussehen haben.
Eine Stunde hinter Laguna beginnt die Straße sich abwärts zu
neigen und man betritt in der Nähe der Dörfer Tacaronte und Sauzal
die Nordküste oder richtiger Nordwestküste von Teneriffa, welche
durch ihre üppige Fruchtbarkeit zu der öden, heißen
Südküste
im erquickendsten Gegensatze steht. Ich kann den Eindruck, den sie auf uns
machte, nicht besser als mit Humboldt's Worten schildern: «Wenn man
in das Thal von Tacaronte hinabkommt, betritt man das herrlichste Land,
von dem die Reisenden aller Nationen mit Begeisterung sprechen. Ich habe
im heißen Erdgürtel Landschaften gesehen, wo die Natur großartiger
ist, reicher in der Entwickelung organischer Formen; aber nachdem ich die
Ufer des Orinoco, die Cordilleren von Peru und die schönen Täler
von Mexico durchwandert, muß ich gestehen, nirgends ein so mannigfaltiges,
so anziehendes, durch die Vertheilung von Grün und Felsmassen so harmonisches
Gemälde vor mir gehabt zu haben. Das Meeresufer schmücken Dattelpalmen
und Cocosnußbäume; weiter oben stechen Bananengebüsche von
Drachenbäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlangenleib
vergleicht. Die Abhänge sind mit Reben beflanzt, die sich um sehr hohe
Spaliere ranken. Mit Blüthen bedeckte Orangenbäume, Myrthen und
Cypressen umgeben Capellen, welche die Andacht auf freistehenden Hügeln
errichtet hat. Ueberall sind die Grundstücke durch Hecken von Agaven
und Cactus eingefriedigt. Unzählige kryptogamische Gewächse, zumal
Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen, klaren Wasserquellen feucht
erhalten werden. Im Winter, während der Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt
ist, genießt man hier eines ewigen Frühlings und Sommers; wenn
der Tag sich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Bevölkerung
der Küste ist hier sehr stark. Sie erscheint noch stärker, weil
Häuser und Gärten zerstreut liegen, was den Reiz der Landschaft
nocht erhöht.»
Groß und herrlich erhebt sich über diesen blühenden Paradiesgarten
die ungeheure Gebirgsmasse des Pik, von dessen schneebedecktem Gipfel lange,
schwarz-violette Bergrücken sich in das blaue Meer hinabsenken. Sein
Anblick auf dieser Seite der Insel ist weit schöner, als auf der Südküste
bei Santa Cruz. Denn man übersieht mit einem Blick eine ganze Reihe
von den ungeheuren langgestreckten Gebirgsketten, die von dem Fuße
des alle überragenden Vulkans sich zum Meere herabziehen. Die fleckenlose
Schneehaube des Gipfels und die dunkel-violette Farbe der darunter
hingestreckten
Bergrücken stehen in reizendem Contrast zu dem frischen Grün der
Küste und der bunten Blüthenpracht des Vordergrundes. Wie Humboldt
richtig bemerkt, «ist der Anblik [sic!] dieses Berges nicht allein
wegen seiner imposanten Masse anziehend; er beschäftigt auch lebhaft den
Geist und läßt uns über die geheimnißvollen Quellen
der vulkanischen Kräfte nachdenken. Seit Tausenden von Jahren ist kein
Lichtschimmer auf der Spitze des Piton gesehen worden, aber ungeheure
Seitenausbrüche,
deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweisen die fortwährende Thätigkeit
eines nicht erlöschenden Feuers.»
Auf dem reizenden Wege von Sauzal nach Orotava passirten wir die Ortschaften
Matanza und Vittoria. Matanza bedeuted Blutbad und erinnert an die
Niederlage,
welche die europäischen Eroberer der Inseln hier durch die heldenmüthige
Tapferkeit der Eingebornen erlitten. Vittoria, Sieg, dagegen erinnert an
die blutige Rache, welche die Spanier in einem bald darauf folgenden Siege
an den Guanchen nahmen. Die Eroberungsgeschichte der canarischen Inseln
ist im höchsten Grade traurig und treibt den Europäern die Schamröthe
in's Gesicht. Sie wiederholt im Kleinen das schauerliche Drama der
Eroberung
Mexicos. Hier wie dort gewannen die frechen europäischen Eindringlinge
durch die Ueberlegenheit ihrer Feuerwaffen und durch eine Reihe der
niederträchtigsten
Ränke und Vertragsbrüche den Sieg über die eingeborene Bevölkerung.
Diese kämpfte für die Freiheit und für den väterlichen
Boden viele Jahre mit dem bewunderungswürdigsten Heldenmuthe. Selbst
die Berichte der nichtswürdigen christlichen Eroberer schildern die
Tugenden des heidnischen Guanchen-Volkes, eines aus Nordafrika eingewanderten
Berberstammes, im hellsten Lichte und wissen als Entschuldigung für
ihre haarsträubenden Gräuelthaten weiter Nichts anzuführen,
als daß sie die heidnischen Eingebornen mit den Segnungen des Christenthums
hätten beglücken wollen. Die Guanchen zogen den Heldentod dieser
Beglückung vor, und Schritt für für Schritt die heimathliche
Erde auf das Hartnäckigste vertheidigend, wurden sie von den Spanier
zuletzt buchstäblich ausgerottet. In der jetzigen Bevölkerung
des canarischen Archipels, den Nachkommen der normannischen und spanischen
Conquistadores, ist kaum hier und da eine Spur des alten Guanchen-Bluts
erhalten.
Zwischen Vittoria und Orotava überschritten wir mehrere von den ungeheuren
Felsenschluchten oder Barrancos, die für die canarischen Vulkane sehr
charakteristisch sind. Diese tief klaffenden Felsenspalten, welche sich
strahlenförmig in großer Anzahl von dem Gipfel des Pik bis zum
Meere herabziehen, scheinen oft in das Innere des feuerspeienden Berges
hineinzuführen. Sie verdanken ihre Entstehung nicht der Thätigkeit
des Wasser, sondern des Feuers. Es sind oberflächliche Risse, welche während
der langsamen Abkühlung der feurigflüssigen Gebirgsmasse in ihrer
erstarrenden Rinde sich bildeten.
Den Namen Orotava führen gegenwärtig zwei verschiedene
Ortschaften, die Hafenstadt, el Puerto, an welcher der botanische Garten
liegt, und die größere Bergstadt, la Villa, welche eine Stunde
höher am Thalgehänge angesiedelt ist. Da wir erst später
Puerto Orotava besuchen wollten, blieben wir in Villa Orotava, wo wir auch
dem Pik-Gipfel eine Stunde näher waren. Unser erster Ausgang, noch
am Abend unserer Ankunft, galt dem weltberühmten Drachenbaum von Orotava,
der ein Alter von mehreren tausend Jahren besitzt. Schon 1402, als die
Spanier
die Insel eroberten, war der Stamm so dicht und hoch, als jetzt. Er ist nur
gegen 70 Fuß hoch. Aber der Durchmesser des Stammes über dem
Boden beträgt nahe an 40 und der Umfang über 70 Fuß. Noch
in 10 Fuß Höhe hat der Stamm 12 Fuß Durchmesser. Die Eroberer
errichteten im 15. Jahrhundert in dem hohlen Stamme einen Altar, vor welchem
Messe gelesen wurde. Schön ist diese uralte Baumruine keineswegs,
denn die mächtige Krone ist durch Stürme größtentheils
zerstört und nur ein paar mächtige Aeste fanden wir noch mit den
charakteristischen blaugrünen Blattbüscheln bedeckt. (Auch diese
letzten Aeste nebst dem ganzen Reste des Stammes wurden in dem folgenden
Jahre nach unserem Besuche (1867) das Opfer eines furchtbaren Orkans, und
wir sind die letzten Naturforscher gewesen, die den hochberühmten Drachenbaum
von Orotava noch lebend gesehen haben.) Zahlreiche größere und
kleinere Drachenbäume sahen wir nachher noch zwischen Orotava und Garachico,
und ein besonders schönes und altes Exemplar in einem Garten von Ycod
los Vinos. Gewöhnlich steigt der graue, glatte Stamm kerzengerade und
unverzweigt bis zu ansehnlicher Höhe empor und zerfällt dann in
einem Busch von starken, wiederholt getheilten Aesten, die wie die Arme
eines Candelabers neben einander empor streben. Jeder Ast trägt an
seinem Ende einen stachligen Kopf von schwertförmigen, seegrünen,
steifen Blättern, aus deren Mitte die vielverzweigte mächtige
Traube von weißen Blüthen oder rothen Beeren hervortritt.
| Drachenbaum
|
Die Erkundigungen, welche wir gleich nach unserer Ankunft in Orotava über
unsere beabsichtigte Pikbesteigung einzogen, lauteten, wie diejenigen in
Santa Cruz, sehr ungünstig. Der erfahrendste Pik-Führer, den wir
ausfragten, zuckte die Achseln und meinte, der oberste Gipfel würde
weges des tief herabgehenden Schneemantels keinesfalls zu ersteigen sein.
Indeß beschlossen wir auf alle Fälle, wenn das Wetter es nur
irgend gestatte, den Versuch zu machen, möglichst hoch hinaufzugehen.
Der heftige Südwind, der schon am Tage unserer Ankunft sich erhoben
hatte, steigerte sich in der Nacht zu einem orkanartigen Sturme, dem am
nächsten Morgen heftige Regengüsse folgten. Schon am Nachmittag
klärte sich das Wetter wieder auf. Sturm und Regen legten sich, und
es zeigte sich bald, daß dieser Südsturm unser Glück gewesen
war. Denn ein großer Theil des Schnees war durch seinen heißen
Hauch weggeschmolzen. Wir faßten neue Hoffnung auf das Gelingen unseres
Planes und trafen schleunigst alle Anstalten, um noch in der folgenden Nacht,
vom Mondschein begünstigt, aufzubrechen.
Gewöhnlich werden für die Pikbesteigung 2 oder selbst 3 Tage verwandt.
Man übernachtet in einer Höhe von ungefähr 9000 Fuß
und unternimmt von hier aus den letzten und schwierigsten Theil der Reise,
die Erklimmung des äußerst steilen Gipfels. Allein bei der vorgerückten
Jahreszeit war an ein Uebernachten im Freien in solcher Höhe nicht
zu denken. Wir waren daher in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt, die
ganze Tour in einem Zuge, ohne Unterbrechung machen zu müssen, und
mußten zu diesem Behufe schon um Mitternacht aufbrechen. Um die Kräfte
für die bevorstehenden Strapazen zu sammeln, legten wir uns schon um
6 Uhr zu Bette. Doch ließ unsere hochgespannte Erwartung uns nur wenig
zum Schlafe kommen. Jede Viertelstunde wachten wir auf, um nach der Uhr zu
sehen. Endlich war 11 Uhr herangekommen und wir sprangen auf, um uns zu
rüsten, und durch einen starken Trunk von ausgezeichnetem, auf der
Insel selbst gewachsenen Kaffee für unsern Marsch zu stärken und
zu wärmen. Um Mitternacht saßen wir wohlgerüstet im Sattel
unserer Maulthiere. Doch dauerte es, wie allemal in Spanien und seinen
Colonien,
noch eine halbe Stunde, bis alle Pferde und Maulthiere in Ordnung und bis
die ganze Caravane marschfertig war. Außer meinen drei Reisegefährten,
dem Bonner Privatdocenten Dr. G. und den beiden Jenenser Studenten M. und
F., hatte sich auch Herr Wildpret, der vorher erwähnte botanische Gärtner
aus Orotava, der den Pik schon wiederholt, aber noch nie im Winter, bestiegen
hatte, unserer Expedition angeschlossen. Jeder von uns hatte seinen eigenen
Führer, der zugleich das betreffende Maulthier beaufsichtigte. Außerdem
ritt an der Spitze des Zuges der Hauptführer, Don Emanuel Reis, einer
der ältesten und erfahrendsten Pikführer. Den Schluß der
Cavalcade bildeten zwei Packpferde, welche mit Proviant, warmen Decken und
Kohlen zum Feueranmachen beladen waren.
Punkt 12 1/2 Uhr setzte sich unsere Caravane in Bewegung. Da der Reitweg
äußerst schlecht und steinig und meistens so schmal ist,
daß
nicht zwei Reiter neben einander Platz haben, so mußten wir in einer
langen Linie hinter einander reiten, und da einige Maulthiere von
widerspänstigem
Charakter waren und manche Störung verursachten, waren die Spitzen
des Zuges oft mehr als eine Viertelstunde von einander entfernt. Im Uebrigen
waren wir in der besten Stimmung und Hoffnung. Die Wolken hatten sich fast
ganz zerstreut und der halbe Mond beleuchtete unsern Pfad mit einer Klarheit
und einem Glanze, von dem man in unsern Breiten keine Vorstellung hat. Eine
höchst angenehme kühle Luft wehte uns von dem Pik herab entgegen.
Die tiefe Stille der Nacht wurde nur durch den Tritt der Maulthiere und
durch die Zurufe unterbrochen, durch welche die Führer sie antrieben:
«Arriba mulo! Arriba cavallo!» (Auf Maulthier! Vorwärts Pferd!)
Die bevorzugten Maulthiere wurden, um tiefern Eindruck zu machen, bei
ihrem
weiblichen Taufnahmen gerufen: Arriba Clara! Arriba Blanca! Eh, Eh, Pepina!
Eh, Eh, Christina!
Wir bedauerten lebhaft, sowohl den Hinaufweg bis zur Retama-Region, als
auch den Hinabweg in der Nacht machen zu müssen, weil uns dadurch der
Anblick der verschiedenen pflanzengeographischen Zonen entzogen wurde, welche
Humboldt und Buch so anschaulich schildern. Von der Meeresfläche zum
Pik aufsteigend, kann man im Allgemeinen fünf solche Gürtel unterscheiden.
Die erste Zone, von der Küste bis zu 1500 Fuß Höhe, ist
der heiße Palmengürtel, die afrikanische oder subtropische
Region, charakterisirt durch Palmen und Bananen, Drachenbäume und Euphorbien,
Cactus und Agaven, sowie durch zahlreiche andere, echt subtropische Gewächse.
Die zweite Zone, der Rebengürtel, von 1500--2500 Fuß, umfaßt
das gemäßigt warme, der Mittelmeerküste sehr ähnliche
Culturland, auf welchem Orangen und Johannisbrodbäume, Getreide, Mais,
Weinstock und edle Castanien gedeihen. Dann folgt als dritte Zone der feuchte,
kühle Lorbergürtel, von 2500--4000 Fuß, die Region
der immergrünen Laubwälder, in denen vier verschiedene Lorberarten,
Oelbäume und Erdbeerbäume, Myrthen und Haidebäume die wichtigste
Rolle spielen. Als vierte Zone erhebt sich darüber der Kieferngürtel,
von 4000 bis 6000 Fuß, fast ganz aus den dichtstehenden Stämmen
der canarischen Kiefer gebildet, einer kräftigen Föhren-Art, die
sich durch ungemein große, 1--2 Fuß lange Nadeln auszeichnet.
Endlich folgt als fünfte und letzte Zone, von 6000 bis 10,000 Fuß,
der Cumbre oder der Ginstergürtel, welcher fast allein durch
zwei schmetterlingsblüthige Sträucher charakterisirt ist: weiter
untern vorwiegend der Drüsenginster (Adenocarpus frankenoides),
weiter oben mehr und mehr überwiegend der Alpenginster (Spartium
nubigenum), welcher bis über 10,000 Fuß emporsteigt. Nur
eine kleine Veilchenart geht noch 1000 Fuß höher. Die letzten
tausend Fuß aber sind gänzlich von phanerogamer Vegetation entblößt.
Besonders leid that es uns, den Lorberwald bei Nacht durchreiten zu müssen,
welcher noch heute mit seinen verschiedenen Lorberarten, den baumartigen
Haidekräutern und dem falschen Lorber (Myrica faya) einen breiten
Gürtel bildet. Ich schnitt mir darin einen jungen Lorberstamm ab, der
mir nachher, beim Besteigen des Gipfels, wesentliche Dienste leistete. Der
Kiefernwald, welcher noch zu Humboldt's Zeit einen mächtigen dichten
Gürtel oberhalb des Lorberwaldes, rings um den Pik bildete, ist jetzt
auf der Nordseite fast ganz abgeschlagen, wie überhaupt die Ausrottung
der Wälder auf den canarischen Inseln, ebenso wie in Südeuropa,
in den letzten Jahrzehnten mit dem frevelhaftesten Sinne betrieben worden
ist. Die traurige Folge davon, der zunehmende Wassermangel, führt hier
wie dort zur Verödung der früher fruchtbarsten Landstriche. Ein
großer Theil von Griechenland, Italien und Spanien ist dadurch gänzlich
verödet; nicht gewarnt aber durch dieses abschreckende Beispiel, läßt
leider auch unser Vaterland, und der Norden überhaupt, seine herrlichen
Wälder mit jedem Jahre mehr verwüsten und ausrauben.
Als die Morgendämmerung hereinbrach, hatten wir bereits die öde
und wilde Ginster-Region erklommen, deren nackter, dürrer, mit Bimssteinen
bestreuter Lavaboden fast blos die beiden oben erwähnten
schmetterlingsblüthigen
Sträucher trägt. Der Adenocarpus ist ein
häßlicher,
halbkugeliger Strauch, mit dicht drüsig behaarten Blättern und
gelben Blüthen. Der Alpenginster dagegen oder die «Retama
blanca» wie sie hier genannt wird (Cyticus nubigenus) ist
ein unserm Goldregen nahe verwandter Strauch, welcher herrlich duftende
weiße Blüthentrauben trägt. Er erreicht 9--10 Fuß Höhe
und ist die Hauptnahrung der wilden Ziegen und Kaninchen, welche die einzigen
Bewohner dieser menschenleeren Einöde sind.
| Echium auberianum im Winterzustand.
|
Nach mehr als fünfstündigem ununterbrochenem Berganreiten hatten
wir gegen 6 Uhr Morgens die Bergpforte oder den Portillo erreicht.
Diesen Namen führt ein Engpaß, welcher in den sogenannten Circus
des Pik hineinführt. Die beiden ungeheuren Bergrücken, welche,
vom Fuße des eigentlichen Pik in das Meer hinabziehend, das blühende
Thal von Orotava zwischen sich nehmen, Montagna Tygaiga im Westen und Montagna
Cuchillo im Osten, nähern sich hier derartig, daß der Portillo
wie eine riesige Thorespforte zwischen Beiden erscheint, Dieser Punkt liegt
schon ungefähr 7000 Fuß hoch, und da unsere Maulthiere von dem
ununterbrochenen beschwerlichen Bergansteigen sehr erschöpft waren,
wir selbst aber von der eiskalten Morgenluft ganz erstarrt, beschlossen
wir, etwas weiter oben eine halbe Stunde zu rasten. Im Schutze eines mächtigen
schwarzen Lavablocks loderte bald ein lustiges Feuer, welches wir mit den
Zweigen der Retamabüsche nährten. Bald waren die erstarrten Glieder
wieder erwärmt und durch einen guten Schluck heißen
Glühweins
gelenkig gemacht. Die Pferde und Maulthiere vergnügten sich unterdeß
mit dem Abweiden der Retama-Schoten. Dieser Ort heißt Estancia di
cera, die Wachsstation, weil die Insulaner im Frühlung ihre Bienenkörbe,
ausgehöhlte Stämme des Drachenbaums, hier hinauftragen und den
Sommer über stehen lassen. Die Bienen bereiten aus den weißen
duftenden Retama-Blüthen einen überaus köstlichen Honig,
und im Herbste werden die gefüllten Stöcke wieder herab geholt.
Inzwischen begann das Morgengrauen das helle Mondlicht zu verdrängen,
und um 6 1/2 Uhr schwangen wir uns wieder in den Sattel. Auf
sanftgeneigtem
Lavaboden, der mit weißem und gelbem Bimsstein dicht bestreut war,
ging es nun eine lange Strecke in munterem Galopp fort. Wir hatten durch
den Engpaß des Portillo hindurch die Hochebene des Circus betreten
und überschauten nun mit einem Blick den ganz eigenthumlichen [sic!]
Bau des Pikgipfels. Mit dem Namen des Circus bezeichnet man ein ungeheures
kreisrundes Amphitheater, in dessen Mitte sich der eigentliche Kegel des
centralen Vulkans erst erhebt. Der Circus selbst aber ist außen
wiederum
von den Cañadas umgeben, einer ungeheuren Ringmauer, welche nach
innen steil abstürzt, nach außen dagegen sich sanft abdacht und
allmäglig in die tieferen Gehänge des Pikfußes verliert.
Anschaulicher vielleicht noch ist der Vergleich des Centralgipfels mit
einer Festung. Die Ringmauer der Cañadas bildet den Außenwall, welcher
den Graben der Festung, den Circus umgiebt. Wäre der Circus mit Wasser,
statt mit Bimssteinen angefüllt, und wäre nicht die Ringmauer
der Cañadas an mehreren Stellen durchbrochen und besonders an der
Nordseite sehr unvollständig, so würde der Circus in der That
wie ein ringförmiger Festungsgraben den Centralvulkan umgürten.
Niemals habe ich eine großartigere Hochgebirgs-Landschaft gesehen,
als beim Eintritt in den Circus. Nicht allein der kleine Vesuv, sondern
auch der mächtige Etna muß gegen diesen Gigantenbau zurücktreten.
Die schwarz oder rothbraun gefärbte Ringmauer der Cañadas stürzt
senkrecht in die weiße oder gelbe Bimssteinfläche des Circus
hinab, überall mehr als 1000, oft mehr als 1500 Fuß hoch. Aber
sie erscheint nur als eine niedrige Umwallung des Centralvulkans, dessen
stolzer Gipfel sich noch mehr als 6000 Fuß über den Bimssteingürtel
erhebt. Glatt wie ein Zuckerhut fallen die schneebedeckten Wände des
colossalen Kegels allenthalben herab, nur von schwarzen strahlenförmigen
Obsidianströmen theilweise unterbrochen. Von Vegetation ist in der
öden, wasserlosen Hochebene des Circus weiter Nichts zu erblicken,
als die zerstreuten Büsche des Alpenginsters, und sie wird daher von
den Insulanern auch die Ginsterebene genannt, Llano de las retamas.
Sie nimmt einen Flächenraum von mehr als zehn Quadratmeilen ein.
| Circus und Cañadas
|
Wer den Vesuv kennt, kann sich nach diesem kleinen Muster ganz gut ein Bild
von dem riesigen Teyde-Pik machen. Die Somma, deren Ringmauer den eigentlichen
Vesuvkegel umgiebt, entspricht den Cañadas, und ist, wie diese, der
Erhebungskrater, aus dessen Tiefe erst der eigentliche Kegel
emporgestiegen
ist. Der Circus zwischen Cañadas und Pik entspricht dem Atrio dei
cavalli zwischen Somma und Vesuv.
Während die Richtung unseres Pfades bisher fast südlich gewesen
war, wandten wir uns nunmehr, nach dem Eintritt in den Circus, mehr gegen
Westen. Zwei Stunden lang ging es beinahe eben, nur wenig ansteigend, über
die öde Bimssteinfläche des Circus hin. Der Boden ist überall
mehrere Fuß hoch mit Nichts als mit diesem lockeren weißen Bimssteinen
bedeckt, die um so größer werden, je mehr man sich dem Kegel
nähert. Nur die Retama, welche fast gar kein Wasser zu bedürfen
scheint, kann in diesem sterilen, trocknen Steingeröll gedeihen. Alles
thierische Leben scheint erloschen. Die Einsamkeit und Oede der vulkanischen
Landschaft ist überwältigend. Um 8 1/2 Uhr Morgens hatten wir den Fuß
des Centralkegels erreicht und nach einer weiteren halben Stunde, in der es sehr
steil bergan ging, die Estancia de los Ingleses, den Punkt, bis zu welchem allein
die Maulthiere aufwärts klettern können.
Die Estancia de los Ingleses oder der englische Hof, ungefähr
8500 Fuß hoch, an der Ostseite des Kegels gelegen, ist nicht, wie
man nach dem Titel erwarten könnte, eine Art Gasthof, nicht einmal
eine einfache Steinhütte, wie die Casa degli Inglesi auf dem Etna,
in welcher ich vor 7 Jahren am Fuße des Aschenkegels übernachtet
hatte. Vielmehr ist es einfach ein etwas geschütztes Plätzchen
in der wilden Lavawüste, umgeben von mehreren großen, theilweise
überhängenden Lavablöcken. Hier übernachten gewöhnlich
die Pikbesteiger unter freiem Himmel, ehe sie die Besteigung des Centralkegels
unternehmen. Die Mehrzahl derselben kehrt aber hier um. Denn nun beginnt
erst der eigentlich anstrengende, und zuletzt in der That sehr beschwerliche
Theil der Arbeit.
Nachdem wir aus den mitgebrachten Kohlen ein Feuer angemacht, uns durch
ein frugales Frühstück gestärkt und eine halbe Stunde geruht
hatten, brachen wir auf zur Besteigung des Gipfels. Die Maulthiere und Pferde
blieben hier zurück, ebenso ein Theil der Führer, und auch der
eine Student, Herr F., welchen ein böser Hufschlag des Maulthieres
gegen das Knie am Weitergehen verhinderte. Der centrale Kegel des Vulkans,
an dessen Ostseite wir jetzt hinaufzuklettern begannen, besteht aus zwei
Abschnitten. Der untere Abschnitt ist ungefähr 3000 Fuß hoch,
also fast so hoch, wie der Brocken über dem Meere. Er heißt mit
Recht das «böse Land», Malpays, und besteht aus lauter mächtigen
über einander gehäuften Lava- und Obsidianblöcken. Der obere
Abschnitt, welcher noch nicht ganz 1000 Fuß Höhe hat und oben
ganz spitz zuläuft, ist der Aschenkegel. Seine Oberfläche ist
größtentheils mit lockerer schwarzer Asche und darin zerstreuten
kleineren Lavablöcken bedeckt. Beide Abschnitte des Centralkegels sind
äußerst steil und beschwerlich zu ersteigen. Beide sind getrennt
durch eine kleine Hochebene, la Rambleta genannt, welche ringförmig
den Fuß des obersten Aschenkegels umgiebt.
| Auf der Rambleta (Der Gipfel allerdings war 1997 nicht
von Schnee bedeckt.)
|
Die schwarzen Lavablöcke, welche das Malpays bedecken, sind von sehr
verschiedener Größe; viele davon erreichen einen Durchmesser
von 8--12, die größten über 20 Fuß. Dazwischen liegt
lockeres Geröll von zahlreichen kleinen Steinen. Die Vegetation hört
hier gänzlich auf. Nur ein kleines Veilchen (Viola cheiranthifolia)
geht noch bis 11,000 Fuß hinauf. Durch die messerscharfen Kanten und
Zacken des eisenharten Gesteins, die durch keine Verwitterung abgerundet
sind, durch die zahlreichen Löcher, welche sich zwischen den kleineren
und größeren Obsidian-Blöcken befinden, und durch die lockere
Lage der leicht herabstürzenden Blöcke wird die Ersteigung des
Malpays schon in der guten Jahreszeit sehr beschwerlich und selbst gefährlich.
In viel höherem Maaße war das aber jetzt der Fall, wo das Malpays
bis fast zur Estancia hinab dicht mit Schnee bedeckt war. Bei jedem Tritte
mußten wir befürchten, auf der glatten Oberfläche des hart
gefrornen Schnees auszurutschen, oder in eine gefährliche, durch den
Schnee verdeckte Lücke zwischen größeren Blöcken hinabzustürzen.
Ein eigentlicher Weg existirt hier natürlich gar nicht, und Jeder mußte
sehen, sich selbst zu helfen, und allein hinaufzuklettern, wo es nur irgend
ging. Bei jedem Tritte mußte zuvor mit dem Stocke sondirt werden,
ob der Fuß festen Halt fassen könne. Zu den Beschwerden des steilen
Kletterns gesellten sich andere, welche durch die eiskalte und sehr verdünnte
Luft hervorgebracht wurden. Wir litten sämmtlich an Kopfcongestionen,
und mehrere von uns bekamen Schwindelanfälle und Nasenbluten. Je höher
hinauf, deste beschwerlicher wurde die Arbeit, und noch waren ein paar tausend
Fuß zu überwinden. Unsere Hoffnung, den Gipfel zu erklimmen,
sank mit jeder Minute.
| Lavablöcke auf dem Weg.
|
Schon nach einer halben Stunde war die ganze Gesellschaft zerstreut. Da
wir uns zwischen dem Chaos der Lavablöcke nicht sehen konnten, riefen
wir uns noch eine Zeit lang gegenseitig zu; aber auch das hörte allmählig
auf. Herr Wildpret und ich selbst hielten uns stets möglichst dicht
an den Fersen des Hauptführers, Don Emanuel, welcher die Spitze des
Zuges führte und uns zur äußersten Eile antrieb: bei der
vorgerückten Tageszeit sei keine Minute zu verlieren, wenn wir unser
Ziel erreichen wollten. Was mich bei der größten Anstrengung
beständig frisch erhielt, war einestheils der feste Wille, den Gipfel
zu erklimmen, koste es, was es wolle, anderntheils der äußerst
interessante und wirklich mährchenhafte [sic!] Anblick der schimmernden
Eisblätter, welche die Lavablöcke in den wunderbarsten Formen überzogen. Ich
wurde hier plötzlich durch ein sehr seltenes und eigenthümliches
Phänomen überrascht, welches ich niemals auf den schneebedeckten
Gipfeln und Gletschern der Hochalpen gesehen und von dem ich weder gelesen
noch gehört hatte. Der halb geschmolzene und dann wieder gefrorene
Schnee nämlich, welcher in dünnen Schichten die einzelnen Seitenflächen
und Vorsprünge der vielzackigen Lavablöcke bedeckte, war in Form
der zierlichsten Federn und Blätter gefroren. Die Schönheit und
Mannichfaltigkeit der Eisfiguren, welche wir im Winter an unsern gefrornen
Fensterscheiben beobachten, kann nur eine ganz schwache und annähernde
Vorstellung von den unbeschreiblich zierlichen und vielgestaltigen Eisblättern
geben, welche die schwarzen Lavafelsen überzogen. Viele Steine sahen
täuschend so aus, als ob sie mit Schwanenfittigen [sic!] bedeckt wären,
andere, als ob ein zarter, aus Silberflittern gewebter und mit Blumen
durchwirkter
Schleier um sie gesponnen wäre, andere, als ob große Rosetten
von nierenförmigen Blättern plötzlich zu Eis erstarrt wären.
Wie an den Vogelfedern und den Saxifraga-Blättern
war die zierlichste und regelmäßigste Fiederung, Furchung und
verzweigte Aderbildung an den wunderbaren Eisgebilden zu verfolgen. Wir
wurden nicht müde, sie zu bewundern. Ich kann mir die Entstehung dieser
seltenen Eisblätter nur dadurch erklären, daß der orkanartige
heiße Südwind, der in den vorigen Tagen geweht, die Schneedecke,
den Furchen und Vertiefungen der vielzackigen Lavablöcke entsprechend,
von der einen Seite her abgeschmolzen hatte und daß das abfließende
Schneewasser an der andern Seite sofort wieder gefroren war.
Nach anderthalb Stunden der mühseligsten Kletterei langten wir drei,
der Führer Don Emanuel, Herr Wildpret und ich, auf der sogenannten
«hohen Aussicht» (Alta vista) an, einem kleinen, ebenen,
geschützen Fleckchen in der endlosen Lavawüste. Hier hatte der
englische Astronom Piazzi Smith mit seiner Frau im Sommer 1856 mehrere Wochen
zugebracht, um astronomische und meteorologische Beobachtungen anzustellen.
Eine Viertelstunde höher kamen wir an der Eishöhle (Cueva del
hielo) vorbei. Das ist eine tiefe, von ungeheuren Lavatafeln überdeckte
Höhle, in welche niemals ein Sonnenstrahl eindringt und in welcher
den ganzen Sommer hindurch der Schnee, zu Firn zusammenschmelzend, erhalten
bleibt. Zahlreiche Neveros oder Schneeträger aus Santa Cruz und Orotava
holen hier im Sommer täglich das Eis, aus welchem, in Verbindung mit
den Säften der herrlichen Südfrüchte, die köstlichsten
Eisconfitüren, eine unersetzliche Erquickung für die Städter
in den glühend heißen Sommertagen, bereitet werden. Noch eine
Viertelstunde weiter hatten wir endlich die Rambleta erreicht, die kleine
ringförmige Ebene, welche den Fuß des Aschenkegels umgürtet.
Von der ganzen Gesellschaft gelangten nur drei, der Hauptführer, Herr
Wildpret und ich, bis zu diesem Punkte. Alle Uebrigen waren im Malpays oder
in der Estancia inglese zurückgeblieben.
Mit ungemeiner Spannung betraten wir die Rambleta. Sollte es wohl möglich
sein, auch noch den Aschenkegel, diesen letzten über 800 Fuß
hohen Gipfel des Vulkans zu erklimmen? Der erste Anblik [sic!] stimmte
unsere Hoffnung tief herab. Der Kegel lag vor uns, wie ein riesiger Zuckerhut,
von einem prachtvollen im Sonnenglanze schimmernden Schneemantel rings
umhüllt.
Der Name Piton oder Zuckerhut, mit welchem die Insulaner den
Aschenkegel
stets bezeichnen, war gerade jetzt in der That äußerst zutreffend.
Jetzt war es nicht, wie im Sommer, die gelblich-weiße Bimssteindecke,
sondern der über diese ausgebreitete blendend weiße Eismantel,
welcher keine andere Vergleichung, als mit einem colossalen Zuckerhute
zuließ.
Was schon der bloße Anblick des schimmernden Eiskegels zu sagen schien,
das wurde durch die Worte unseres Führers, Don Emanuel, bestätigt.
Er erklärte es für unmöglich, den Zuckerhut unter diesen
Umständen zu ersteigen. Selbst in der günstigsten Jahreszeit gehört
die Ersteigung des äußerst steilen und glattwandigen, größtentheils
von lockerer Asche bedeckten Kegels zu den schwierigsten Bergpartien. Ich
erinnerte mich, in Humboldt's Reisebeschreibung gelesen zu haben, daß
sie im Sommer überaus beschwerlich, im Winter ganz unmöglich sei,
und daß Capitain Baudin, welcher 1797 dieselbe im Winter versuchte,
bei einem Haare dabei das Leben verloren habe. Er rollte von der halben
Höhe des Eiskegels bis zur Rambleta hinab und wurde nur durch einen tiefen
Schneehaufen gerettet, der hinter einem mächtigen Lavablocke sich angesammelt
hatte und ihn aufhielt.
Andererseits war aber der Gedanke, hier, so nahe dem ersehnten Ziele, auf dasselbe
verzichten zu müssen, so niederschlagend, daß ich auf alle Fälle
wenigstens einen Versuch zu machen beschloß. Mit vieler Mühe
überredete ich Don Emanuel und Herrn Wildpret, mich zu begleiten. Wir
rasteten einige Minuten an den sogenannten Nasenlöchern des Vulkans
(Narices del pico), zwei mächtigen Felsspalten, aus denen heiße
Dämpfe hervorquellen, und begannen dann den scheinbar unersteiglichen,
spiegelglatten Zuckerhut mit Aufgebot aller Kräfte hinanzuklimmen.
Es zeigte sich bald, daß der Zuckerhut nicht so schlimm war, als er
aussah. Der Schnee, der in den letzten Wochen wohl mehrere Fuß hoch
hier gelegen haben mochte, war in Folge des anhaltenden heißen Südwindes
zu einer firnartigen festen Masse zusammengeschmolzen, deren Oberfläche
fest gefroren war. Sie bot Halt genug, um mit unseren eisenbeschlagenen
Alpenschuhen festen Fuß zu fassen. Besonders wurde uns das Klettern
an jenen Stellen erleichtert, an denen der geschmolzene Schnee unter der
oberflächlichen Eiskruste weggeflossen war. Diese konnten wir durchbrechen
und hatten dann in den Eislöchern festen Stand. Obgleich sehr mühselig
und langsam, ging es so das unterste Drittheil des Piton doch ganz leidlich
aufwärts. Nun folgte aber eine sehr schlimme Strecke, auf welcher,
durch einen vorspringenden Lavarücken gegen die Sonne geschützt,
eine ganz zusammenhängende feste Eisdecke den steil abfallenden Aschenkegel
wie eine polirte Stahlplatte überzog. Hier wurde der geologische Hammer,
den ich mitgenommen hatte, uns vom größten Nutzen. Ich schlug
damit Stufen in das Eis, in denen die scharfen Nägel unserer Schuhspitzen
haften konnten, und auf allen Vieren kriechend, arbeiteten wir uns so mühsam
weiter. Das ging aber nur sehr, sehr langsam und kostete gewaltige Kräfte.
Nach wenigen Minuten erklärte der Führer, daß es ganz unmöglich
sei, noch weiter hinauf vorzudringen, und daß wir bei der vorgerückten
Tageszeit nunmehr nothwendig umkehren müßten. Vor Sonnenuntergang
müßten wir aus dem Circus hinaus und bis zum Portillo würden
wir bis dahin kaum zurück sein. Vergebens beschwor ich ihn, noch
weiter
vorzudringen, und versprach ihm eine ansehnliche Belohnung. Er blieb bei
seiner Behauptung, daß es unmöglich sei, unter diesen Umständen
die Besteigung des Gipfels zu erzwingen, und erklärte, daß er
keinen Schritt weiter steigen werde. Nun wurde auch Herr Wildpret, der mich
bis dahin treulich unterstützt hatte, wankend und versuchte, mich zur
Rückkehr zu bewegen. Da ich ihm jedoch bestimmt erklärte, daß
ich nicht vor Eintritt völliger Erschöpfung daran denken und vorher
Alles aufbieten würde, zum Gipfel zu gelangen, ließ er sich nach
einigem Zögern bewegen, mich noch weiter zu begleiten. Der Führer
kehrte zur Rambleta zurück.
Das nun folgende Stück des Kegels, von kaum mehr als hundert Fuß
Höhe, war die schlimmste Strecke der ganzen Bergfahrt. Fortwährend
mußten wir Stufen in die harte Eisdecke hauen, und uns mit Händen
und Füßen festhalten, um nicht auszugleiten. Ohne unsere vortrefflichen
eisenbeschlagenen und bestachelten Alpenschuhe und ohne die
Unterstützung
meines alten Bergstocks und des Lorberstammes, den ich im Walde unten mir
abgeschnitten, wären wir über dieses böse Stück niemals
hinweg gekommen. Unsere Hände bluteten, zerschnitten von den messerschafen
Kanten der Eisplatten und der glasartigen schwarzen Obsidian-Blöcke,
an denen wir uns zu halten versuchten. Der Blutandrang nach dem Kopfe und
die Brustbeklemmung, welche unsere ganze Gesellschaft schon unten im Malpays
in der unangenehmsten Weise empfunden hatte, wurden höchst beschwerlich.
Ich begann an dem Gelingen unseres Unternehmens zu verzweifeln. Herr Wildpret,
der dicht hinter mir war, bat mich, stehen zu bleiben, und als ich mich
umwendete, sah ihn ohnmächtig zusammensinken. Ich rieb ihm Stirn
und Schläfe mit Schnee und flößte ihm ein wenig Rum ein.
Dies und ein Blutstrom, der sich aus seiner Nase entleerte, brachte ihn
bald wieder zu sich. Wenige Schritte weiter hatte ich dasselbe Schicksal,
erholte mich aber gleichfalls rasch. Nach kurzer Rast fühlten wir uns
wesentlich erleichtert und setzten unsere böse Kletterei mit erneutem
Muthe fort.
Nun war aber auch das Schlimmste überstanden. Wir gelangten jetzt bald
an eine Stelle, an welcher der Schnee theils weicher, theils unter der
oberflächlichen
Eisdecke fortgeschmolzen war, und wo wir wieder festen Fuß fassen
konnten. Mit Aufgebot der letzten und äußersten Kräfte ging
es nun die letzten dreihundert Fuß auf diesem günstigen Terrain
ziemlich rasch hinan. Punkt 12 Uhr Mittags am 26. November hatte ich das
stolze Ziel, die höchste Spitze des Pikgipfels, 12,200 Fuß über
dem Meere, glücklich erreicht. Ich stieß meinen Lorberstamm in
die Eiskruste, welche die oberste Spitze des Kraterrandes überzog,
und band daran mein Taschentuch, das lustig im Winde flatterte. Zehn Minuten
später langte auch Herr Wildpret oben an. Wir waren beide im höchsten
Maaße erschöpft, und suchten zunächst eine Stelle aus, wo
wir vor dem heftigen Südwestwinde geschützt uns lagern konnten.
Der Raum auf dem höchsten Gipfel des Pik von Teyde ist überraschend
eng. Wie auf den Gipfeln der meisten Vulkane, befindet man sich auf dem
scharfen Rande eines kreisförmigen Walles, der den
trichterförmigen
Krater umgiebt, und der nach innen und nach außen gleichmäßig
glatt und steil abstürzt. Der höchste Punkt des Kraterrandes, auf
dem wir uns befanden, und auf dem ich meine Fahne aufgepflanzt hatte, liegt
im Nordosten. Ein wenig weiter nach Norden, wenige Fuß unterhalb des
Kraterrandes, fanden wir eine Gruppe von halbzerstörten Lavablöcken,
welche eine eisfreie Stelle beschützten, und als wir uns im Schutze
derselben lagerten, bemerkten wir zu unserm großen Vergnügen,
daß die Asche ganz heiß war und an der Oberfläche eine
Temperatur von 30--35 o R. hatte. Als ich die oberste Schicht
wegräumte
und dabei meine Hand tiefer in die Asche hineinsteckte, hätte ich sie
beinahe verbrannt, so glühend heiß war es hier. Und wenige Schritte
davon lag tiefer Schnee!
Die Wärme dieses geschützten Plätzchens war uns äußerst
willkommen. In Kurzem waren unsere Lebensgeister, welche der eisige, sehr
heftige Wind fast zum Erstarren gebracht hatte, neu belebt, und wir gaben
uns, durch einen tüchtigen Schluck Rum gestärkt, dem Genusse des
überwältigenden Schauspiels hin, welches sich unsern entzückten
Blicken darbot.
Man wird fragen, ob dieser Genuß im Verhältniß stand zu
den ungewöhnlichen Beschwerden und Gefahren, mit denen wir ihn erkämpft
hatten. Ich stehe nicht an, diese Frage unbedingt zu bejahen. Die eine Stunde,
welche ich auf dem Kraterrande des Pik verweilte, und welche mir so rasch
wie eine Minute verfloß, gehört zu den unvergeßlichsten
meines Lebens. Eindrücke von solcher Majestät, solcher Eigenthümlichkeit
und solcher Tiefe können nie wieder verwischt werden.
Nichts ist falscher, um die Wirkung dieser Eindrücke zu bezeichnen,
als die übliche Phrase: Eine schöne Aussicht. Rundsichten von hohen
Bergen sind überhaupt selten schön, wenn man nicht den Ausdruck
Schönheit in einem Sinne gebraucht, den kein Maler dafür
gelten lassen würde. Höchstens die Farbenharmonie, die Mannichfaltigkeit
und Mischung der Farbentöne kann man hier schön finden. Die Formen,
welche man von einem hohen, isolirten Berggipfel erblickt, die Vertheilung
von Licht und Schatten, ist meistens nichts weniger als schön. Es sind
ganz andere Ursachen, welche solchen
erhabenen Rundsichten ihren eigenthümlichen
und unendlichen Reiz verleihen.
Vor Allem kommt hierbei die Größe des Erdenstückchens in
Betracht, welches man hier mit einem Blicke überschaut, die Masse der
verschiedenartigen, theils bekannten, theils unbekannten Gegenstände,
welche sich hier in dem engen Rahmen eines Panorama's
zusammendrängen.
Die ungewohnte Ausdehnung und Höhe des Horizonts giebt uns eine dunkele
Vorstellung von der Unendlichkeit des Raums. Die tiefe, durch keinen Laut
unterbrochene Stille, das Bewußtsein, daß längst alles
animale und vegetabilische Leben hier erloschen ist, erzeugt in dem Gemüthe
das Gefühl der tiefsten Einsamkeit. Mit einem gewissen Stolze fühlt
man sich einen Augenblick als Herrn des Standpunktes, den man mit so vielen
Mühen und Gefahren erkämpft hat. Bald aber fühlt sich der
Mensch wieder als das, was er ist, als eine vergängliche Welle in dem
unendlichen Meere des Lebens, als eine vorübergehende Combination einer
verhältnißmäßig geringen Anzahl organischer Zellen,
welche in letzter Instanz den eigenthümlichen chemischen Eigenschaften
des Kohlenstoffs ihre Entstehung und Bedeutung verdanken! Wie verächtlich
und elend erscheint in solchen Augenblicken das kleinliche Spiel der
menschlichen
Leidenschaften, welches tief unten in den Stätten der sogenannten Civilisation
seinen endlosen Wechsel entfaltet! Wie groß und erhaben ist dagegen
die freie Natur, welche uns hier im Rahmen eines einzigen Bildes die ganze
Majestät und Herrlichkeit ihrer schaffenden Gewalt empfinden läßt.
Es würde ein vergebliches Unternehmen sein, ein anschauliches Bild
von den zahllosen Einzelnheiten des unendlich großartigen Panorama's
entwerfen zu wollen, in dessen Genuß wir uns in jener unvergeßlichen
Stunde versenken durften. Ich beschränke mich daher kurz auf die Hervorhebung
des Wichtigsten.
Den großartigsten Eindruck macht zunächst zweifelsohne der
ungeheure
Meereshorizont. Nach welcher Himmelsgegend sich auch der Blick wendet, überall
hat er sich gegenüber die riesenhafte schwarzblaue Wand, deren Grenzlinie
sich weit über die höchsten Gipfel der benachbarten Inseln erhebt.
Die größeren und kleineren Inseln des canarischen Archipelagus
übersieht man sämmtlich: im Westen Palma, Gomera und Hierro, im
Osten Gran Canaria, Lanzerote und Fuerta Ventura. Selbst die kleinsten Eilande
an der Nordspitze von Lanzerote sind erkennbar, Graziosa, Montaña
Clara und Alegranza. Die hellvioletten Inseln schwimmen wie Traumbilder
verloren in dem tiefblauen Weltmeere. Man versetzt sich unwillkührlich
in die längst entschwundene Zeit zurück, in welcher alle diese
Inseln als feurig-flüssige Lavamassen dem wild erregten Meeresschooße
entstiegen. Wir glaubten beinahe mit dem Fernrohre auch die Küste des
afrikanischen Festlandes an dem südöstlichen Meereshorizonte,
hoch über Grand Canaria oder Fuerta Ventura erkennen zu können.
So weit reicht aber der Gesichtskreis des Teydepiks nicht. Das Stück
Erdoberfläche, welches man mit einem Blicke übersieht, beträgt
5700 Quadratmeilen, so viel als ein Viertheil der Oberfläche Spaniens.
Einen wunderbaren Anblick gewährt die Insel Teneriffa selbst, welche
in ihrem ganzen Umfang nur ein kleines Piedestal für den gewaltigen
Vulkan bildet. Man wird deutlich gewahr, daß die ganze Insel weiter
nichts als der Fuß des Piks, und daß der Pik selbst der Central-Vulkan
der ganzen Inselgruppe ist. Die übrigen canarischen Vulkane sind nur
untergeordnete Seitenschornsteine für den ungeheuren Hochofen, dessen
Hauptesse der Pik ist. Die ungemeine Klarheit und Durchsichtigkeit der Luft,
welche man nur in den tropischen und subtropischen Gegenden so findet,
erlaubte
uns auch die fernsten Gegenstände auf der Insel mit der größten
Deutlichkeit und Schärfe zu erkennen. Die dichten Wolken, welche noch
am frühen Morgen einen großen Theil der Insel bedeckten und uns
wegen der Rundsicht sehr besorgt gemacht hatten, waren im Laufe des Vormittags
durch die Kraft des wärmenden Sonnenlichts völlig zerstreut worden.
Rein und fleckenlos, wie das schwarzblaue Meer, strahlte auch der lichtblaue
Himmel. Ueberall die klarste und kraftvollste Beleuchtung, wie wir sie nicht
schöner treffen konnten. Der gezackte Küstensaum von Teneriffa
ließ sich im Norden über Orotava und Garachico, und im Süden
über Soccorso und Santa Cruz hin weit verfolgen. Im Osten dagegen
wurde
er durch die Höhen des Añaga-Gebirges verdeckt, im Westen durch
die Chahorra, einen gewaltigen Krater, welcher sich unterhalb des
Gipfelkraters
im Südwesten, 3000 Fuß niedriger, erhebt.
Im Hafen von Orotava konnten wir die Schiffe und am Ufer die einzelnen Häuser
erkennen, so klar und rein war die Luft. Höchst eigenthümlich
war der merkwürdige Contrast, welchen der nackte und todte obere Theil
des Piks zu dem vollen und blühenden Leben an seinem Fuße bildet.
Die einzelnen Pflanzengürtel, welche wir beim Hinaufwege durchritten
hatten, konnten wir deutlich unterscheiden: am Ufer die subtropische
blüthenreiche
Palmen- und Bananen-Region, dann den Reben- und Korn-Gürtel, darüber
die immergrünen Lorberwälder und über diesen die weit ausgedehnten
dunkelgrünen Kiefern-Waldungen, welche die nach den Küsten auslaufenden
Bergrücken bedeckten.
Weit über Alles dies erhoben sich die schwarzen, rothen und braunen
Lavawände des Circus, die Cañadas, die wir hier in ihrer ganzen
Großartigkeit überschauten. Der Bimssteinring des Circus oder
die Ginsterebene erschien wie ein Strom am Fuße des schwarzen Kegels,
dessen Schneekuppe ringsum Alles überragte. Die Trichteröffnung
des Craters, auf deren höchstem Rande wir uns befanden, ist vom Nordosten
stark nach Südwesten geneigt. Der Trichter selbst ist kleiner, als
beim Etna, Vesuv und vielen anderen kleineren Vulkanen. Er hat bei 300 Fuß
Durchmesser nur 100--150 Fuß Tiefe. Die heißen Dämpfe, welche
beständig aus der Kraterasche hervorquellen, hatten keinen Schnee im
Trichter liegen lassen, und der verwitterte rothe und braune Boden erschien
stellenweis mit sehr schönen Schwefelcrystallen bedeckt.
Nachdem wir das unvergleichliche Panorama eine Stunde lang genossen, begaben
wir uns um 1 Uhr auf den Rückweg. Wir kundschafteten eine beim Hinaufsteigen
nicht gesehene Stelle aus, an welcher der Schnee in ziemlicher Ausdehnung
weggeschmolzen war, und gelangten in der warmen Asche, halb springend, halb
rutschend, schnell zur Rambleta hinab, wo Don Emanuel in großer Besorgniß
uns erwartete. Der Weg über das Malpays hinab war noch äußerst
unangenehm, und wenn auch nicht so anstrengend, doch in der That gefährlicher,
als das Hinaufsteigen. Er wurde jedoch glücklich und ohne Unfall
zurückgelegt.
Um 3 Uhr waren wir schon wieder in der Estancia inglese, wo unsere drei
Gefährten, die Führer und die Maulthiere unserer warteten. Nach
halbstündiger Rast und nachdem wir die Ueberreste des Proviants verzehrt
hatten, traten wir den Rückweg an. Am Fuße des Centralkegels,
auf der Bimssteinebene des Circus angelangt, bestiegen wir um 4 Uhr wieder
unsere Maulthiere. Der zweistündige Ritt durch den Circus zum Portillo
war noch höchst genußreich, da die prachtvoll untergehende Abendsonne
zur rechten Hand die rothbraunen Cañadas, zur linken Hand den
schneebedeckten
Gipfel mit den glühendsten Purpurtinten bemalte.
Um so unangenehmer gestaltete sich der Rückweg vom Portillo an. Das
Hinabreiten auf dem von Lavablöcken bedeckten Wege, der kaum den Namen
eines Saumpfades verdient, ist schon bei Tage kein Vergnügen. Nun wurde
es aber bald stockfinster, so daß wir keine Spur mehr von dem Wege
erkennen konnten. Zwar zündeten die Führer Fackeln an; da wir
aber wieder in einer langen Linie hinter einander reiten mußten und
bei dem ungleichen Schritte der Pferde und Maulthiere uns oft weite Strecke
von einander entfernten, waren die Fackeln von wenig Nutzen. Höchst
bewunderungswürdig war aber der topographische Instinkt und der sichere
Tritt der Maulthiere und der kleinen Bergpferde, welche trotz der
stockfinsteren
Nacht und trotz des abscheulichen Weges nicht einen einzigen Fehltritt
thaten.
Wir waren alle im höchsten Grade ermüdet. Herr Wildpret und ich
schliefen auf dem Rücken unserer Maulthiere, an deren Sattel uns die
Führer fest gebunden hatten, fast beständig, obwohl der holperige
Weg uns arge Stöße versetzte. Herr M. war so todtmüde, daß
er durchaus unter den Retamabüschen zurückbleiben und am folgenden
Morgen nachkommen wollte. Es kostete viel Ueberredung, ihn im Sattel
festzuhalten.
Noch übler befand sich Herr F., dessen Knie von dem am Morgen empfangenen
Hufschlage des Maulthiers heftig schmerzte. Am übelsten war der arme
Dr. G. daran, dessen Magen sich durch eine ungewöhnliche Neigung zur
Seekrankheit auszeichnete. Er litt während des Hinabreitens stundenlang
an diesem Uebel, gerade so wie vor drei Wochen, als wir von einem kleinen
portugiesischen Schraubendampfer im biscayischen Meerbusen arg geschaukelt
wurden. Eine Stunde oberhalb Orotava wurde ein kurzer Halt von einer
Viertelstunde
gemacht, damit sich unsere zerstreute Caravane sammeln konnte. Im Nu waren
wir Alle von den Maulthieren herunter und lagen auf dem steinigen Boden
in tiefen Schlaf versunken. Endlich um 10 1/2 Uhr Abends war Orotava glücklich
wieder erreicht. Wir waren volle 22 Stunden unterweges, und im Ganzen kaum
2 Stunden Rast abgerechnet, 20 Stunden ununterbrochen in Bewegung gewesen.
Zeitschr. d. Gesellschaft für Erdkunde. Bd. V., 1870
Seiten 1--28
|