Kapitel 34: Neurogenetik

34.3.2.7 Von der Musteranlage zur Musterbildung: proneurale kontra neurogene Gene

Photorezeptoren sind Neurone und gehören zum peripheren Nervensystem der Fliege. Deshalb müssen Zellen, die sich zu solchen differenzieren, neuronale Kompetenz erlangen. Dazu bedarf es, genau wie bei der Neurogenese, der Expression von proneuralen Genen. Und auch hier wird zunächst eine größere Zellpopulation induziert und anschließend werden aus dieser Population mit Hilfe des antagonistischen Wechselspiels von proneuralen und neurogenen Genen diejenigen Zellen selektioniert, die, in regelmäßigen Abständen zueinander liegend, als ommatidiale Gründerzellen fungieren: die R8-Zellen. Die weiteren Selektions- und Differenzierungsprozesse erfolgen dann über lokale Zell-Zell-Interaktionen. Der Übergang von undifferenzierten, äquivalenten Zellen bis hin zum regelmäßigen Muster der R8-Zellen erfolgt über distinkte Zwischenschritte. Zuerst kommt es zur Ausbildung einer Musteranlage (prepattern), dann erfolgt in einem Übergangsstadium die Vorselektion einzelner Zellgruppen und schließlich geht aus jeder dieser Zellgruppen eine R8-Vorläuferzelle hervor (s. 34.3.2.8).

Das proneurale Gen für die R8-Determination, atonal (ato), gehört zwar nicht zum achaete-scute-Komplex, ist jedoch ein weiteres Mitglied der bHLH-Familie von Transkriptionsfaktoren. In lebensfähigen atonal-Mutanten differenzieren keine Ommatidien, was darauf zurückzuführen ist, daß keine R8-Zellen gebildet werden. Blockiert man hingegen die Inhibition von atonal in späteren Entwicklungsstadien, bilden sich ganze Gruppen von R8-Zellen anstatt nur jeweils eine. Die Expression von atonal erfolgt in der Zellreihe unmittelbar vor der Furche und wird durch Hedgehog induziert. Hedgehog induziert aber auch noch ein weiteres Gen, hairy, daß ebenfalls für ein bHLH-Protein codiert. hairy wird etwas weiter anterior als atonal exprimiert, wobei die posteriore Expressionsgrenze von hairy mit der anterioren von atonal übereinstimmt (Abb. 34-25). Hedgehog zeigt sich hier für eine auf den ersten Blick paradoxe Situation verantwortlich, es induziert nämlich gleichzeitig einen Aktivator (atonal) und einen Inhibitor (hairy) neuronaler Kompetenz. Die Induktion erfolgt außerdem in verschiedenen Bereichen, die nicht überlappen, sondern sich durch eine scharfe Expressionsgrenze auszeichnen. Diese duale Regulation könnte sehr wohl für die präzise Kontrolle der Geschwindigkeit verantwortlich sein, mit der sich die proneurale Zone und somit die morphogenetische Furche über die Imaginalscheibe bewegt.

Zusammen mit hairy spielt extra macrochaete eine wichtige regulatorische Rolle. extra macrochaete wird noch etwas weiter anterior als hairy exprimiert. Es handelt sich um ein Gen des AS-Komplexes und sein Produkt ist ein HLH-Protein, dem die DNA-Bindestelle fehlt. Sowohl hairy als auch extra macrochaete inhibieren atonal und sorgen so dafür, daß sich die Zellen nicht frühzeitig differenzieren. Interessanterweise zeigen weder hairy- noch extra-macrochaete-Mutanten auffällige Phänotypen. In doppelmutanten Klonen aber kommt es zu einem beschleunigten Wandern der morphogenetischen Furche, die Morphologie wird auch hier nicht beeinträchtigt.

Die eben genannten Drosophila-Proteine lassen sich in das bei der Neurogenese vorgestellte Schema von HLH-Proteinen einordnen. Atonal entspricht einem gewebsspezifischem bHLH- und Extra macrochaete einem inhibitorischen HLH-Protein. Das bHLH-Protein des bei der Neurogenese schon erwähnten daughterless-Gens ist ubiquitär exprimiert. Folgerichtig führen daughterless-Ausfallmutanten zu diversen Defekten, unter anderem im Auge und im Gehirn. In vitro bilden Atonal und Daughterless Heterodimere und der Komplex fungiert als sequenzspezifischer Transkriptionsaktivator.

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