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Wem gehört die Zukunft

Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne, Du bist ihr Produkt.

Jaron Lanier, Hoffmann und Campe (2014), 480 Seiten, ISBN: 978-3455503180

Wem gehört die Zukunft - Cover
Dem US-Amerikaner Jaron Lanier wird demnächst der Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2014 verliehen. Dieser wird vergeben an eine Person, die "in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat“. Lanier gilt als Pionier des Internet und Vordenker des Cyberspace, er selbst versteht sich als Musiker und Schriftsteller.
Lanier möchte, um es kurz und auch in seinen eigenen Worten zu sagen:

1. den Kapitalismus verbessern
2. die gesellschaftliche Mittelschicht retten, die er zunehmend als Opfer der informationstechnologischen Entwicklung sieht,
3. diese Technologie aber so weiterentwickelt und eingesetzt wissen, dass sie den Menschen wieder als "etwas Besonderes“ (S. 31) achtet. Er nennt dies eine “humanistische Informationsökonomie“ (S. 47).

Im Einzelnen geht seine Argumentation so:

1. Wer die größten bzw. leistungsfähigsten Computer besitzt, er nennt sie „Sirenenserver“ (S. 88) hat die Macht.
2. Der technologische Fortschritt (im Sinne des Moore’schen Gesetzes) weckt die Illusion von einer Welt ohne Arbeit, schafft aber in der Konsequenz Arbeit als Einkommensquelle ab.
3. Die kurzfristig davon profitierenden Technologiekonzerne bringen sich damit mittelfristig um ihre Konsumenten. Damit zerstören sie ihre eigenen Existenzgrundlagen.
4. Die gegenwärtige Selbst-Täuschung der Nutzer und (!) Betreiber der digitalen Welt besteht in der Annahme, dass Informationen immer umsonst sein werden/sollen, sowohl die Informationen, die man von sich selbst hergibt (um gewisser Vorteile willen), als auch die Informationen, die man erhält, um sein Leben angenehmer gestalten zu können.
5. Dies hat zwei Auswirkungen: a) Der Einzelne lässt sich immer stärker vorschreiben, wie er zu leben hat (was er essen, trinken, lesen, denken und kaufen soll). b) Es profitieren nicht alle gleichermaßen davon, sondern nur die wenigen, welche mit den kostenlos gelieferten Informationen das Leben der Vielen modellieren.
Letztere aber, die Vielen, werden ausgebeutet, denn sie erhalten für die Informationen, die sie von sich hergeben, keinen materiellen Gegenwert, lediglich das Versprechen eines komfortableren Lebens.
6. Ein doppelter Ausbeutungsmechanismus nimmt also Gestalt an: Die Mehrzahl der Menschen wird zum einen informationstechnisch ausgebeutet und zum anderen um menschenwürdige Verdienstmöglichkeiten (Arbeitsplätze) gebracht.
7. Das widerspricht dem Anspruch des Menschen, nämlich „etwas Besonderes“ zu sein bzw. als etwas Besonderes behandelt zu werden, und ruiniert jene Form des Kapitalismus, die bislang durchaus noch zur Erzeugung eines auskömmlichen Lebensstandards und einer breiten Mittelschicht in der Lage war - dank der bis dahin vorhandenen staatlichen "Deiche" gegen die Marktmechanismen (S. 81).
8. Lanier will folglich die Netzwerktechnologie so weiterentwickelt sehen, dass sie gleichsam die Würde des Menschen und den sozialverträglichen Kapitalismus rettet (S.77).
9. Sein Vorschlag: „humanistische Informationsökonomie“! Bezahlt die Menschen für die Informationen, die sie liefern! Schafft dazu die entsprechende Nano-Ökonomie, in der eine Person eine Nano-Zahlung erhält „proportional sowohl zum Ausmaß ihres Beitrages als auch zum daraus resultierenden Wert“ (S. 47)
10. Sein Beispiel: Google bietet die Übersetzung in alle Sprachen an! So als verfüge Google über ein polyglottes Superhirn. Dieses Angebot beruht aber auf einer riesigen Bibliothek von Sprachelementen, die von realen Sprechern geliefert werden bzw. wurden. Dieses Sprachmaterial (sozusagen die Produktionsmittel) wurde noch nie jemandem vergütet. Es ermöglicht aber Google, Gewinne zu machen, an denen niemand finanziell beteiligt wird, bestenfalls ideell …
11. Auf dieser Basis könne sich ein „neuer Gesellschaftsvertrag“ bilden …

Soweit die Argumentation der ersten hundert Seiten. Ab jetzt wird dem Leser eine echte Geduldsprobe abverlangt. Etwa 200 Seiten weiter, nach vielen Ausflügen in die Ökonomie, das Musikbusiness, ins Silicon Valley, in den Wissenschaftsbetrieb - Ausführungen, deren Notwendigkeit und innerer Zusammenhang nicht immer erkennbar ist - beginnt der vorletzte Teil mit dem Satz:
„Über das Problem haben wir nun genug geredet. Jetzt ist es Zeit für einen Lösungsvorschlag.“ (S.305) Dieser führt den oben erwähnten Gedanken weiter aus: Auf die Herkunft kommt es an! Anders gesagt: Die bisher leer ausgehenden (und damit betrogenen) Lieferanten von Inhalten, aus denen die Sirenenserver ihre überdimensionalen Gewinne herausschlagen, sollen entsprechend dem Wert ihrer Lieferung entgolten werden. Dazu bedarf es nicht nur einer politischen und gedanklichen Wende, sondern auch neuer mikro- und makroökonomischer Verfahrensweisen (siehe S. 352 ff).

Darüber lässt sich in der Tat nachdenken. Auch wenn dieser Ansatz unter gegenwärtigen Macht- und Marktkonstellationen nicht realisierbar erscheint, kann er dennoch eine Wende in der Verhaltensweise der „Lieferanten“ anregen. Z.B. „Wo ist eigentlich mein Gewinn-Anteil an den Profiten von Google, Facebook und Co?“ „Bekomme ich für meine Daten und Informationen wirklich das, was für mich relevant ist?“ „Sollte ich mit meinen Internet-Aktivitäten nicht ökonomischer umgehen?“ Hier könnte das Wort „ökonomisch“ seine interessante Doppelbedeutung zurückbekommen: sparsam und einträglich!

Kommen wir schließlich zum Titel des Buches: „Wem gehört die Zukunft?“ Nach Lanier ist die Alternative die zwischen den Sirenenservern (allgemeiner: der Cloud) und der gesellschaftlichen Mittelschicht. Am besten sollen alle „Bürger erster Klasse“ sein. Hier Laniers eigene Worte zum Abschluss des Buches:

„Meiner Ansicht nach könnte die Mehrheit der Bevölkerung in zehn oder zwanzig Jahren oberhalb der Armutsgrenze leben, weil sie mit ihren persönlichen Daten genügend verdient. Wenn es so weit ist, sollen wir vorbereitet sein, um diese Chance zu nutzen.“ (S. 473)

Diese beiden Sätze zeigen das Problem, das ich persönlich mit Laniers Stil und Argumentation habe: Welche Bevölkerung? Zehn oder zwanzig Jahre? Oberhalb der Armutsgrenze? Ist die Mehrheit der Bevölkerung heute verarmt? Und sollte es nicht heißen „bis es soweit ist“?
Es klingt vieles irgendwie aus dem Ärmel geschüttelt - oder schlecht übersetzt - oder nach einer sprunghaften Logik oder einfach nach Hochgeschwindigkeitsschreiben (und vielleicht auch Hochgeschwindigkeitsdenken, das auf Zwischenschritte verzichtet.). Das Buch ist kein systematisch entwickelter Denkweg, es ist ein Mixmax aus Einzelstücken, die sich in den Notebook-Apps von Jaron Lanier angesammelt haben und die nun in jenen linearen Darstellungsmodus gebracht worden sind, der eben das Medium „Buch“ ausmacht.

Und noch etwas ist merkwürdig, zumindest aus deutscher Sicht: Es ist viel von den Sirenenservern und der Cloud die Rede, den Googles, Facebooks, Apples und Amazons; die Abkürzung NSA habe ich nicht gefunden. Dabei hat doch gerade die NSA ein globales Erkennungssystem entwickelt, auf dem jenes ökonomische Abrechnungsverfahren der individuellen digitalen Lieferungen (Nano-Ökonomie) basieren könnte.

Aber jetzt wieder im Ernst: Man darf gespannt sein, was Jaron Lanier dem Publikum am 12. Oktober in der Paulskirche zu sagen hat.

verfasst von Klaus Dautel am 09.09.2014 | 4697-mal gelesen

Fachrichtungen: Ethik Gemeinschaftskunde fächerübergreifend Informatik


Kommentare zu dieser Rezension

Thomas Nolte schrieb am 12.10.2014:

Danke lieber Klaus Dautel für die Rezension, die mir Lese-/Lebenszeit erspart hat. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Jaron Lanier passt gut zur "German Angst". Dass es mit der deutschen Internet-Kompetenz im europäischen Vergleich nicht weit her ist, zeigt diese Infografik: http://de.statista.com/infografik/2811/internetkenntnisse-in-europa/ Die Juroren hätten gut daran getan, das Weg weisende neuste Buch von Jeremy Rifkin zu lesen: Die Nullgrenzkostengesellschaft, das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus (Campus 2014)


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