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Die vergessenen Opfer der Mauer

Inhaftierte DDR-Flüchtlinge berichten.

List Tb. (2009), 363 Seiten, ISBN: 3548608833

Die vergessenen Opfer der Mauer - Cover
In dem Buch berichten 15 Autorinnen und Autoren über die Umstände ihrer Untersuchungshaft in den Gefängnissen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Ursache der Untersuchungshaft war in nahezu allen Beiträgen der gescheiterte Versuch, das Gebiet der DDR in Richtung Westen zu verlassen.
In dem Buch berichten 15 Autorinnen und Autoren über die Umstände ihrer Untersuchungshaft in den Gefängnissen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Ursache der Untersuchungshaft war in nahezu allen Beiträgen der gescheiterte Versuch, das Gebiet der DDR in Richtung Westen zu verlassen.
Es berichten Jugendliche, Studenten, Frauen und Männer mittleren Alters, die alleine oder mit der Familie die DDR verlassen wollen. (Ergreifend sind die Berichte 7 sowie 13, in denen Kinder zu Leidtragenden werden.) Die Flüchtlinge entstammen unterschiedlichen sozialen Schichten. So finden sich Texte, deren Autoren auch unter den Bedingungen der DDR offenbar ein gutes Auskommen hatten. Ihre Lebensbedingungen und ihr Wohlstand war dem westlichen Standard vergleichbar (Bericht 9). Neben den inhaftierten DDR-Bürgern kommen auch zwei Autoren aus Westdeutschland zu Wort, die wegen ihrer Tätigkeit als Fluchthelfer in die Untersuchungshaft der DDR gerieten (Berichte 1 und 13). Die 15 Texte sind teilweise Originalbeiträge; einige Beiträge erschienen bereits im Rahmen biografischer Veröffentlichungen. Der Herausgeber Hubertus Knabe sortiert die 15 Texte chronologisch; jeweils 3 Texte sind einem Zeitabschnitt zugeordnet („Nach dem Mauerbau“, „Ulbrichts letzte Jahre“ usw.).
Fast alle Berichte ähneln sich in ihrem Zuschnitt darin, dass zunächst relativ knapp berichtet wird, unter welchen Umständen der Fluchtversuch scheitert und wie die Verhaftung und der Transport in die Untersuchungshaft erfolgen. Ausführlicher werden die Haftbedingungen und die Verhöre durch die Staatssicherheit während der Untersuchungshaft beschrieben: Das perfide Zusammenspiel aus völliger Isolation, Überwachung (tagsüber im Fünfminutentakt; nachts alle 10 - 20 Minuten - dazu wurde das Licht eingeschaltet - blickte man durch den Türspion), strengsten Vorschriften (tagsüber keine Erlaubnis sich hinzulegen; nachts genauste Vorschriften, wie man zu liegen hatte) sowie stundenlangen Verhören, in denen Drohungen, Beschimpfungen ebenso zum Repertoire gehörten wie das Anbieten von Genussmitteln und scheinheiligen Versprechungen, verfehlt die erwünschte Wirkung nicht. Der psychische Druck führt früher oder später zu dem erhofften Eingeständnis der Republikflucht - zuweilen auch zur Denunzierung von Mitwissern und Fluchthelfern. Erst an dieser Stelle beginnt das „normale“ juristische Räderwerk. Nach der Verurteilung und einem zumeist mehrjährigen Gefängnisaufenthalt erfolgt schließlich die Abschiebung in die BRD durch Häftlingsfreikauf (seit 1963 wurden für fast 4 Milliarden DM von der BRD Häftlinge aus der DDR freigekauft). Im Bericht 14 wird dies sogar zum festen Kalkül, quasi Plan B, nachdem die geplante Flucht gescheitert ist.
Um nicht missverstanden zu werden. Die in den Texten geschilderten Haftbedingungen sind grausam und menschenverachtend: Glasbausteine sorgen für diffuses Tageslicht; sie ermöglichen den Gefangenen nicht den Blick in den Himmel. Allerdings gibt es keine oder kaum Berichte von direkten Misshandlungen oder körperlicher Folter - Ausnahme die Berichte Nr. 1 (Schläge durch DDR-Grenztruppen), Bericht Nr. 7 (Geständnis durch Betäubungsmittel) bzw. der Bericht 15 (prügelnde ungarische Wärter).
Auffällig ist, dass in den Berichten die Beweggründe der Flucht und das System der DDR meist nur oberflächlich tangiert werden - i.d.R. ist es der brennende Wunsch nach Freiheit, man will einen Unrechtsstaat verlassen, den man ablehnt und der per se schon einem Gefängnis gleicht: „Kein Gefängnis der Welt ist derart massiv gesichert.“ (Vorwort des Herausgebers). In den Texten finden sich Hinweise auf Fluchthilfeorganisationen (Organisation Schütz-Bley (Bericht 4) bzw. die Rolle der Exil-CDU in West-Berlin (Bericht 14)), deren Motivationen leider nicht weiter thematisiert werden. Dies ist bedauerlich, weil das gesamte Buch ansonsten mit überflüssigen Fußnoten überspült wurde (hinter jedem Bericht findet sich eine Fußnote, die dem Leser erklärt, dass ein Barkas B 1000 ein VW-Bus ähnlicher DDR Kleintransporter ist, der zum Gefangenentransport verwandt wurde). Anstrengend wird es, wenn sogar Personen in einer Fußnote vorgestellt werden, deren Kenntnis zur elementaren Allgemeinbildung gehört (Johann-Sebastian Bach, Zeus usw.). Auf die ebenfalls redundanten Fußnoten zwecks Übersetzung umgangssprachlicher Ausdrücke („Alu“, „Wartburg“, „Grüne Minna“ usw.) sei hier gar nicht weiter eingegangen.
Während die Schwierigkeit der Fluchtentscheidung, die kritische Auseinandersetzung mit einem reformunfähigen System, die folgerichtige Resignation heutzutage schon in Kinofilmen („Der rote Kakadu“, „Das Leben der anderen“) thematisiert wird, richtet das vorliegende Buch den Blick des Lesers eher auf Allgemeinplätze. Hierzu ein Zitat aus dem Vorwort, wo es heißt, dass „Ausreiseantragsteller [...] eingesperrt wurden, weil sie darauf beharrten, sich ihren Wohnsitz selber aussuchen zu dürfen“ oder weiter unten pauschal von einer „Freiheitsberaubung an 17 Millionen Ostdeutschen“ gesprochen wird. Dass die wissenschaftliche Aufbereitung der authentischen Berichte mit einer gewissen Sorglosigkeit erfolgt, ist bedauerlich. Hubertus Knabe will - so die Absichtserklärung auf der Buchrückseite - „erschütternde Zeugnisse von Opfern des DDR-Regimes zusammentragen.“ Der Leser wird zu diesem Zweck im Vorwort des Herausgebers auf das Ost-West-Klischee eingeschworen. Neuere Forschungsergebnisse zeigen hingegen die besondere Problematik der Abteilung XIV, die seitens des Ministeriums für Staatssicherheit mit dem Untersuchungshaftvollzug betraut war. Ohne die Haftbedingungen zu relativieren: Der Dienst in dieser Einheit war unbeliebt. Es fehlte in den Anfangsjahren an Vorschriften für die Durchführung der Untersuchungshaft. Allein die Verwahrung und völlige Isolation war sicherzustellen. Eine Problematik, die naturgemäß der Willkür Vorschub leistete. Dass es im Laufe der Jahre zunehmend Bestrebungen gab, Vorschriften zu etablieren, wird von Knabe - aus welchen Gründen auch immer - nicht thematisiert. Ebenso unerwähnt bleibt die Problematik unterschiedlicher baulicher Voraussetzungen der Haftanstalten. (vgl. hierzu Anatomie der Staatssicherheit, Geschichte, Struktur und Methoden, hrsg. von Suckut, Neubert u.a. Berlin 1995).
Was die Autorinnen und Autoren beschreiben, ist die Gefangenschaft unter den Bedingungen einer gleichgeschalteten Justiz. Dass der in dem Buch hochgelobte freie Westen mittlerweile selber in Abu-Ghraib und Guantanamo seinen Sündenfall begangen hat, darf eine gegenwärtige Publikation nicht verschweigen oder übersehen, ohne sich ideologisch verdächtig zu machen.
Wertvoll sind die Berichte der Gefangenen zunächst sehr unmittelbar, nämlich in ihrer direkten und unmittelbaren kompensatorischen Funktion für die ehemaligen Häftlinge. (Hierüber verliert der Herausgeber kein Wort). Der Versuch, die Tatsache der Gefangenschaft allein auf der Ebene politischer Schuld der ehemaligen DDR abzuhandeln, scheitert spätestens an der authentischen Schilderung der Opfer. Während sich in den stets gleichen Rahmenbedingungen, dem Prozedere der Untersuchungshaft im Kern nichts anderes als die „Banalität des Bösen“ widerspiegelt, schlagen die sehr unterschiedlichen Überlebensstrategien der Häftlinge den Leser geradezu in den Bann. Dass sogar die ästhetische Erfahrung der Autorinnen und Autoren hierbei eine Rolle spielt - beispielsweise wenn Amanda Bohlken (Bericht 6) mit Cicero feststellt, dass „das strengste Recht häufig die höchste Ungerechtigkeit ist“ oder mit Erich Fabian ganz im Sinne Dostojewskijs bemerkt, dass Hafteinsamkeit „Genies oder Idioten“ hervorbringt - wäre das eigentlich bemerkenswert. Der wissenschaftliche Anstrich des Buches bleibt jedoch stets oberflächlich und einseitig. In dem angesprochenen Bericht werden in den Fußnoten die Begriffe „Knast-Minna“ und „Pisspottschritte“ erläutert. Hinweise auf Cicero oder Fabian - oder gar einen Kommentar in Richtung Peter Weiß (Ästhetik der Befreiung) sucht man vergeblich. Angesichts des wertvollen Berichts ist das bedauerlich. Fazit: Aufgrund der geäußerten Bedenken halte ich das Buch für keine wirkliche Bereicherung der historischen Forschung respektive für keinen Exzellenzbeitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Als Kernproblematik sehe ich die ideologische Schieflage, die allein der Herausgeber zu verantworten hat. Dennoch: Alle fünfzehn Berichte sind sehr authentisch und fraglos lesenswert.

verfasst von Georg Mondwurf am 15.02.2010 | 2544-mal gelesen

Fachrichtungen: Ethik Gemeinschaftskunde Geschichte Deutsch


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