1. Sachinformationen:
Die Richterzeit bedeutete für die Israeliten eine Zeit der
ständigen Bedrängung durch Nachbarvölker. Insbesondere mit den
im Westen siedelnden Philistern gerieten sie immer wieder in
blutige Auseinandersetzungen. Israel drohte im eigenen Land in
hoffnungslose Knechtschaft zu geraten, und die Philister
versäumten keine Anstrengung, um ihre Herrschaft zu sichern. Sie
kontrollierten die Herstellung von eisernen Waffen und Geräten
(1 Sam 13,19-22). Das Eisenmonopol bedeutete sowohl die
praktische Entwaffnung Israels und die militärische
Überlegenheit der Philister als auch einen Vorsprung in
Wirtschaft und Handel, der Israel lahm legen musste.1 Saul
(ca. 1030-1010 v. Chr.) gelang es während seiner Regierungszeit
als erster König Israels, den Philistern lange Zeit zu
widerstehen - war ihnen letztlich aber doch erlegen. Erst mit der
Regierungszeit Davids wandelte sich das Bild. Das einmal
eingeführte Königtum erwies sich als starke Kraft, die Israel
zum Großreich führte.
David hat in kurzer Zeit einen steilen Aufstieg erlebt.
Entsprechend seiner Bedeutung liegt eine ungewöhnlich reiche
Überlieferung über ihn vor. Die Darstellung des Aufstiegs
Davids ist allerdings keine geschlossene Erzählung. Das
Traditionsgut ist in drei biografischen Abschnitten
zusammengestellt, so dass Widerspruche und Doppelungen auftreten:
1 Sam 16,19 - 21,1 (David am Hofe Sauls) 1 Sam 21,2 - 30
(David als Fluchtling) 2 Sam 1 - 5,12 (David wird König) Liest
man die Kapitel 16 und 17 des 1. Samuelbuches nacheinander, so
fällt gleich ein solcher Widerspruch auf. Nach Kapitel 16 war
David bereits ein kriegstuchtiger Mann. In Kapitel 17 wird er
dagegen als Hirtenjunge vorgestellt, der keine Rustung anlegen
und kein Schwert handhaben kann. Nach der ersten Geschichte ist
David bereits am Hofe Sauls als Saitenspieler und Waffenträger
des Königs etabliert. In der Goliatgeschichte dagegen ist David
weder Saul noch seinem Gefolge bekannt.
In 2 Sam 21,19 wird sogar Elchanan, der Sohn Jairs aus
Bethlehem, als Bezwinger Goliats genannt. In der exegetischen
Fachliteratur hält man diese Geschichte für die
realistischere.2 Die Übertragung auf David wäre dann später
erfolgt.
Diese Unstimmigkeiten lassen sich nicht miteinander in
Einklang bringen. Sie dürfen aber auch nicht von der Kernaussage
der Geschichte um "David und Goliat" ablenken. Es
handelt sich nicht um einen historischen Tatsachenbericht,
sondern um die Weitergabe von Erfahrungen der Israeliten mit
Jahwe. Darüber hinaus will der Erzähler dieser Geschichten
aufzeigen, dass David mit Recht Nachfolger Sauls wird und auch
beanspruchen kann, König über ganz Israel zu werden.3
Der vorliegende Text 1 Sam 17 ist wie viele Texte der
Samuelbucher kunstvoll gestaltet. Folgende Situation wird
geschildert: Die Geschichte, eine Episode aus den Kämpfen
Israels mit den Philistern, führt uns in das westjudäische
Hugelland (bei Socho). Erneut sammeln sich die Philister zum
Kampfe gegen die Israeliten. Auch Saul und sein Heer schlagen in
der Nähe des Philisterheeres ihr Lager auf. Beide Heere sind
durch ein Tal voneinander getrennt, in dem sich ein
ausgetrocknetes Flussbett befindet. Saul zieht sein Heer zunächst
zurück, weil er sich vor dem Anfuhrer der Philister, Goliat,
fürchtet. An dieser Stelle setzt nun die Davidgeschichte
ein. Er soll seinen im Kampf befindlichen Brudern und dem
vorstehenden Hauptmann im Auftrag des Vaters Lebensmittel
überbringen. So erscheint das Zusammentreffen Davids und Goliats
zunächst rein zufällig. Als Goliat das Heer des lebendigen
Gottes verhöhnt und verspottet, lästert er den Namen Jahwes und
motiviert David gegen die Bedenken Sauls, den Kampf mit Goliat
aufzunehmen. Der Erzähler lässt David sagen, er komme "im
Namen des Herrn" (1 Sam 17,45) / "mit der Kraft des
Herrn" (Neue Schulbibel). Kunstvoll beschreibt der
biblische Autor die äußere Erscheinung der beiden Kontrahenten:
Der drei Meter große Riese wird dem jungsten Sohn Isais
gegenübergestellt. Während der eine einen ehernen Helm, einen
bronzenen Panzer und ein riesiges Schwert trägt, steht David mit
seinem Hirtenstock und seiner Steinschleuder da. Der im Kampf
unerfahrene David (vgl. Anlegen der Rustung Sauls) trifft auf den
Vorkämpfer der Philister4 ! Angesichts dieser Überlegenheit
Goliats liegt freilich die Vermutung nahe, dass David unter
normalen Umständen niemals als Sieger aus diesem Kampf hätte
hervorgehen können. Die Niederlage Davids hätte aber nicht nur
persönliche Konsequenzen. Die Folgen wären viel weitreichender,
sogar vernichtend gewesen: Jahwe wäre den heidnischen Göttern
der Philister zum Opfer gefallen und Israel in Gefangenschaft
geraten. Dass David dennoch den Mut fasst, das scheinbar
Unmögliche zu wagen, muss aus seinem grenzenlosen Vertrauen zu
Jahwe erklärt werden. Die Geschichte von David und Goliat
muss also als Auseinandersetzung Jahwes mit dem heidnischen
Götterkult der Philister gedeutet werden.5 Daher erschließt
sich die Erzählung als typische Rettungsgeschichte, in der Jahwe
sein Volk aus einer scheinbar ausweglosen Situation errettet. Als
ein "deus ex machina" greift er in die Geschichte
seines Volkes ein, um dessen Untergang zu verhindern. Erneut wird
Jahwes Handeln in der Geschichte sichtbar, wie es in etlichen
alttestamentlichen Zeugnissen dargestellt wird. Der Gläubige
macht so die Erfahrung, in Notsituationen nicht allein und ohne
Hoffnung sein zu mussen. Insofern sind auch die Figuren, die
sich im Zweikampf gegenüberstehen, symbolisch zu verstehen:
Goliat, der die Bedrohung Israels durch die Philister und deren
Götter verkörpert und David, der Paradigma wahren Glaubens ist
und die Möglichkeiten eines solchen Glaubens aufzeigt.
Die David-Geschichte ist Teil einer theologisch motivierten
Geschichtsschreibung. Sie soll dem Gläubigen immer wieder vor
Augen führen, dass Jahwe Herr der Geschichte und seines Volkes
ist. Nur im Vertrauen auf Jahwe können das Volk Israel und sein
König bestehen. Im Kampf gegen die Philister streitet er - so
die biblische Tradition - zunächst für die Sache Gottes. Seine
Autorität und Legitimität ist nicht auf seine Tuchtigkeit,
sondern auf seine Erwählung durch Jahwe (Salbung Davids durch
den Propheten) zurückzuführen.
1 G. Fohrer, Geschichte Israels: von den Anfängen bis zur
Gegenwart, 6. überarb. Aufl., Heidelberg u.a., 1995, 82f. 2
H.W. Herzberg, Die Samuelbucher, 7. Aufl., in der Reihe: Das Alte
Testament Deutsch, Neues Göttinger Bibelwerk, Göttingen 1986,
116f. 3 H.W. Herzberg, a.a.O., 117. 4 Die Sitte, mit einem
Einzelkampf zu beginnen, ist auch von anderen Erzählungen des AT
bekannt (vgl. 2 Sam 2,14ff.) 5 F. Stolz, Das erste und
zweite Buch Samuel, Zurich 1981, 111.
5. Literatur:
G. Fohrer, Geschichte Israels:
von den Anfängen bis zur Gegenwart, 6. überarb. Aufl.,
Heidelberg u.a., 1995.
H.-G. Herzberg, Die
Samuelbucher, 7. Aufl., in der Reihe: Das Alte Testament
deutsch, Neues Göttinger Bibelwerk, Teilband 10, Göttingen
1986.
E. Kolb, David: Geschichte und
Deutung, Olten 1986.
A. Ohler, Grundwissen Altes
Testament, Stuttgart, 1987 (Bd. 2, Das Königtum, 69-104).
F. Stolz, Das erste und zweite Buch Samuel, Zurich 1981.
Neuere Literatur, die in der Darstellung stark von der
traditionellen Vorstellung abweicht: (Einfugung von J. Betz) I.
Finkelstein, N. A. Silberman: Keine Posaunen vor Jericho. Die
archäologische Wahrheit über die Bibel, C. H. Beck, München
2003 (bisher 5. Auflage)
6. Bildquelle:
Ausstellungskatalog: Albert Weisgerber (1878-1915) -
Gemälde und Grafik, mittelrheinisches Landesmuseum Mainz,
20.Januar bis 25. Februar 1979, 75.
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(stark vereinfachte Nachzeichnung von J. Betz)
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