ZUM-Logo THEMA: Sterben und Tod Blatt
Kath. Religion
© H. Greschner
Zitate aus: G. Beckmann; Ich, Annika.
Erlebnisse und Begegnungen einer jungen Schwedin; Würzburg 1972
 


"Müßte man in der Schule nicht auch was über den Tod lernen? Ein paar Übungen über den Todesgedanken schreiben lassen? So wie man sich auf dem Schwebebalken übt, oder wie man Geometrie oder Optik lernt? Alles ist abscheulich - so primitiv. Ich meine die Gefühle, die man hat. Man benimmt sich wie ein Kleinkind. Man sollte so etwas mit Stil ertragen. Tapfer. Weise. Was das für schöne Worte sind! Weisheit - Tapferkeit. Sie klingen wie Silber...

Ich begriff, daß ich, Annika, die am Mitsommertag 19 Jahre alt wird, sterben muß! Mein Körper ist so jung und warm, so ungenützt und soll nun zum Erliegen kommen, während die Zerstörung weiter fortschreitet ... Niemals werde ich meine Meinung herausschreien ... Niemals werde ich richtig erwachsen sein ... Niemals werde ich etwas Tüchtiges, etwas Bedeutendes leisten, etwas wirklich Wichtiges tun ... Niemals schwanger werden, niemals ein Kind tragen, das in mir wächst ... Niemals werde ich alt werden mit einem Menschen, den ich liebe ...

Ach, ich kann nicht begreifen, wie die Menschen sich mit dem Gedanken an ein ewiges Leben trösten können! Was soll mir ein Leben danach nützen? ... Und zum Teufel, ich möchte wissen, wie es weitergeht!

Ich versuche, du kannst es mir glauben, daran zu denken, daß viele Menschen täglich vor Hunger sterben, denken an alle Menschen, die überall sterben, Tag für Tag, junge Leute wie ich, die ihre Nase gerade erst ins Leben gesteckt haben ... Aber es hilft mir nicht. Das ist alles mögliche, aber es ist der Tod der anderen, nicht mein eigener.

Zehn, zwanzig kleine Tabletten, und ich bin die Sorge los. Der Gedanke ist freundlich und schön und verlockend wie ein kühles, sauberes Bett, wenn man sehr müde ist. Und gleichzeitig ist er voller Feigehit, voller Trotz und Hochmut. Aber da fällt mir etwas ein, was Großmama einmal sagte, als sie von ihrem jüngsten Bruder erzählte, der sich das Leben nahm: 'Mit einem Selbstmord ist immer eine Schuld verbunden, die sich die Hinterbliebenen niemals verzeihen können. Ein Bleiklumpen aus Verzweiflung und schlechtem Gewissen, der sich nicht wie ein anderer Kummer auflösen läßt.

In diesen letzten Tagen hatte ich mich doch zu einer gewissen Ruhe durchgekämpft, mich aus der finsteren Grube herausgearbeitet, die voller Verzweiflung war, und hatte wieder angefangen, fast normal zu reagieren. Nun sollte noch einmal alles von vorne anfangen, nur eben noch viel schlimmer. Denn nun mußte ich nicht nur mit meiner eigenen Verzweiflung fertig werden, sondern auch noch mit der der anderen.

Ich glaube, es war noch schlimmer als ich gedacht hatte, Menschen zu begegnen, die Bescheid wußten. Zwischen kranken und gesunden Menschen liegt ein Abgrund. Man steht sich auf beiden Seiten gegenüber und ruft sich in verschiedenen Sprachen etwas zu.

Es ist schön, daß es Worte gibt. Ich möchte sooft im Sommer daran denken ... Wieviele Menschen verfügen nicht über Worte, können ihre Gefühle nicht ausdrücken, stehen einfach hinter einer verschlossenen Tür, brennen vor Gefühl und bekommen keine Linderung, weil sie keinen Ausdruck dafür finden. Den Menschen Worte zu vermitteln, muß eigentlich ebenso wichtig sein, wie das Zusammenflicken ihrer Körper."



Aufgaben / Fragen

1. Welche Probleme nennt Annika in den einzelnen Textabschnitten?
2. a) Was hätte Annikas Leben Sinn verliehen (vgl. 2. Abschnitt ) ?
    b) Was macht Ihr Leben sinnvoll?
3. Gibt es Erfahrungen im Leben, die mit Sterben vergleichbar sind?
4. Was würden Sie sich wünschen, wenn Sie bald sterben müßten?
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