[Der Text beschreibt den Stand des Gesprächs zwischen Naturwissenschaft
und Religion. Das Gespräch ist verstummt, findet nicht statt,
weil die Theologie die These von den zwei Wahrheiten (naturw.
und religiöse) vertritt, die nichts miteinander zu tun haben
(können). Dagegen sagt Hoimar v. Ditfurth:]
Die Wahrheit ist unteilbar.Kann man an die Existenz oder gar an die
tätige Anwesenheit eines Gottes in einem Universum glauben, das
sich nach einigen Jahrhunderten naturwissenschaftlicher Forschung unserem
Verstand als erklärbar zu präsentieren begonnen hat? Diese einfache,
aber alles entscheidende Frage bildet den Hintergrund dieses Buchs.
Sie wird heute nur noch selten in so direkter Form gestellt.
Das ist eigentlich sonderbar, denn gleichzeitig redet alle Welt
aus gutem Grunde von der Notwendigkeit einer "Sinnfindung". Wie aber
könnte es uns gelingen, einen Sinn unserer Existenz überzeugend
zu formulieren, ohne Stellung zu beziehen zu unserer Eingangsfrage?
Wie die Antwort im Einzelfall auch immer ausfallen mag, sicher ist,
daß sich über den Sinn menschlicher Existenz sinnvoll nicht
reden läßt ohne eine Entscheidung darüber, ob man
diese Welt, unsere alltägliche Wirklichkeit, für in sich
geschlossen, für aus sich selbst heraus erklärbar hält oder nicht.
Darüber aber, ob es nur das Diesseits gibt oder auch eine jenseitige
Wirklichkeit, wie es alle großen Religionen von jeher behaupten,
darüber wird zwischen Theologen und Naturwissenschaftlern schon seit
langem nicht mehr ernstlich diskutiert. Nicht etwa, weil die Frage entschieden
wäre. Der Theologe setzt das Jenseits voraus (Religion ist die
Überzeugung von der Realität einer jenseitigen Wirklichkeit).
Für den Naturwissenschaftler dagegen ist das Jenseits kein Thema
(sondern allenfalls ein psychologisches oder religionssoziologisches
Phänomen).
Daß heute zwischen den beiden Lagern äußerlich
Friede herrscht, heißt also nicht etwa, daß man nach
Jahrhunderten erbitterter Auseinandersetzungen schließlich zu
einer gemeinsamen Auffassung gefunden hätte. Der Friede ist durch
einen Kompromiß zustande gekommen. Er ist lediglich die Folge davon,
daß man sich, des langen Streites müde, darauf verständigt
hat, die Wahrheit für teilbar zu erklären.
Was für den Glauben wahr sei, könne für die Vernunft
falsch sein und umgekehrt, so lehrte der Philosoph Siger von Brabant im
13. Jahrhundert. Er hatte es möglicherweise als Ausflucht gemeint,
um sich die Freiheit philosophischer Spekulation gegenüber theologischer
Denkzensur zu erstreiten. (Es half ihm nichts, man hat ihn trotzdem eingekerkert.)
Mit aller Entschiedenheit ernst gemeint war aber das trotzigtriumphierende
"Credo quia absurdum" des Tertullian (um 160 @ um 220 n. Chr.)
(frei übersetzt: "Ich glaube es gerade deshalb, weil es meinem
Verstand so unannehmbar erscheint"). Welchen Sinn der antike Theologe
selbst seinem Ausspruch auch immer beigemessen haben mag, die moderne
Religionskritik wurde hier kühl und sachlich von einem typischen
Faß von »Immunisierungsstrategie« sprechen.
Denn wer seinen religiösen Standpunkt so definiert, zieht sich auf eine
Position zurück, auf der er von rationalen Argumenten grundsätzlich
nicht mehr erreicht werden kann. Er "immunisiert" sich gleichsam gegen
jeden denkbaren Einwand. Er beansprucht eine Wahrheit für sich, die
unabhängig ist von dem Begriff, den unser Verstand von demselben Wort hat.
So wie »dichterische Wahrheit« einen Eigenwert beansprucht, obschon sie
ausdrücklich nichts gemein haben will mit dem Wahrheitsbegriff unseres
Alltags, so radikal unterscheidet sich nun auch nach der Auffassung vieler
moderner, vor allem protestantischer Theologen »religiöse Wahrheit« von
allem, was kritische Vernunft für wahr oder falsch, für beweisbar
oder für widerlegbar halten kann.3 Während die dichterische Wahrheit
jedoch nicht vorgibt, mehr zu sein als ein übertragener, bildlich zu
verstehender Begriff, nimmt religiöse Wahrheit das ganze existentielle
Gewicht der ursprünglichen Wortbedeutung für sich in Anspruch.
So haben die Theologen die Wahrheit denn in Stücke zerlegt und mit den
Wissenschaftlern geteilt. Nur so ließen sich, wie man offensichtlich
meinte, die Widersprüche umgehen, vor denen man sich im theologischen
Lager weitaus mehr fürchtete als auf der anderen Seite, Von da ab galten
sorgfältig, man ist versucht zu sagen: ängstlich abgegrenzte
Zuständigkeiten. Sobald uns die Frage nach dem Sinn unseres Lebens
beschäftigt oder der Gedanke an unsere Sterblichkeit, immer dann auch,
wenn wir unser Verhalten den Maßstäben von Gut und Böse
unterzuordnen wünschen, gibt der Theologe uns die notwendige Auskunft.
Wann immer wir dagegen an den Rätseln des Fixsternhimmels interessiert
sind oder am Aufbau der Materie, an der Geschichte des irdischen Lebens oder
den Geheimnissen der Funktion unseres Gehirns, werden wir auf jene anderen
Wahrheiten verwiesen, die der Obhut der Naturwissenschaften unterstehen.
Beide Wahrheiten aber haben, damit suchen die Theologen uns und sich selbst
zu beruhigen, nichts miteinander zu tun. So kommen sich die zwei Lager nicht
länger ins Gehege. Man hat aufgehört, sich gegenseitig die
Klientel abzujagen. Man ist dazu übergegangen, die Reviergrenzen
einvernehmlich festzulegen. Das erspart, soviel ist sicher, eine Menge Streit .
(Hoimar v. Ditfurth, Wir sind nicht nur von dieser Welt, dtv-Taschenbuch 10290,
München 1986, S. 9 ff)
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