Bojko, Alexander

Bojko

Bojko Alexander, geb. am 8.3.1924; Arbeitseinsatz in Bobingen, KZ Dachau, Buchenwald, Natzweiler, Allach

Herr Bojko wohnt bei seiner Tochter Nadja gemeinsam mit deren Ehemann und den zwei Töchtern in einer schlichten Wohnung im 5. Stock ohne Aufzug. Typische Plattenbauweise, aber immerhin mit Balkon und schöner Sicht auf einen See. Es wird sofort sichtbar, dass Herr Bojko trotz seines fortgeschrittenen Alters der Chef der Familie ist. Er dirigiert seine Tochter, den Schwiegersohn samt den Enkelkindern herum. Dann fragt er mich spasseshalber, weshalb ich nicht mit deutschen Zeitungen sprechen,dann würde ich mir den weiten Weg in die Ukraine sparen.

Aber dann legt er gleich los. Wenn ich wolle, könne er stundenlang über seinen Zwangsaufenthalt in Deutschland sprechen, er erinnere sich an alles noch sehr genau. Zuerst zeigt er mir seine Dokumente, die ihn als Verfolgten des Naziregimes ausweisen. Seine Häftlingsnummer in Dachau: 48080, in Buchenwald 49374 ( vom 3.4.1944 bis 7.3.1945), dann als Häftling Nummer 29374 im KZ Natzweiler, ehe er am 13.April 1945 wieder ins KZ Dachau ins Außenlager Allach als Häftlng Nr. 158117 kommt und von dort aus von der US-Armee am 29. April befreit wird.

Seine Deportation fand im November 1942 statt. Am 18. November kommt er in das Verteilungslager, von dort kommt er nach Augsburg. Fast alle Männer kommen in der Rüstungsindustrie zum Einsatz. Er arbeitet bei MAN, das Lager war ca. 1 km entfernt, zur Arbeit wurden sie gefahren. Er kann sich daran erinnern, dass auch Kriegsgefangene bei MAN arbeiteten, die aber schärfer bewacht wurden.

Weil Alexander – er war gerade mal 18 Jahre – über keine Fachausbildung verfügte, wird er für die niederen Arbeiten eingeteilt. Er soll den Arbeitsplatz sauber machen, später bohrt er irgendwelche Teile, wofür keine besonderen Kenntnisse erforderlich waren.

Von MAN kommt er im März 1943 mit 10-12 weiteren Personen, darunter Alexander Nadtotschij, den er erst hier kennen lernt, nach Bobingen zu einem Dynamitwerk. Alexander arbeitet wiederum rund um die Fabrik, er muss Gräben ausheben, während sein Kollege aus Jahotyn als Schlosser eingeteilt ist und über Fachkenntnisse verfügt. Natotschij bringt ihn, wie er heute sagt, auf die dumme Idee zu „türmen“. Mit einem Sonderausweis gehen die beiden in die Stadt , Natotschij will auf dem Arbeitsamt, wie er sagt eine einfachere und leichtere Arbeit zugewiesen bekommen. Natotschij ist immerhin vier Jahre älter als er, also macht er mit und sie gehen zu Fuß nach Augsburg, besuchen zuerst ihre Landsleute im Lager, das sie bereits von ihrem ersten Arbeitseinsatz kennen, dann marschieren sie durch die Felder nach Norden, ein Feldarbeiter wird stutzig, als er sie mit dem Ostarbeiterzeichen sieht. Er bringt sie ins Dorf, ruft die Polizei an, die sie aufs Präsidium bringt.

Dort geben sie brav an, dass sie aus Bobingen kommen. Die Fabrikleitung wird infomiert, aber der Fabrikleiter will sie nicht mehr in Bobingen, daher werden sie zuerst einmal für einige Tage eingesperrt. Dann werden sie nach Nürnberg verlegt und es gibt einen Gerichtsprozess.

Nach einem Quarantäneaufenthalt landen sie schließlich im KZ-Außenlager Allach und sollen dort in der Rüstungsindustrie arbeiten. Ab jetzt müssen sie Häftlingsuniform tragen. Wiederum wird Herr Bojko einer anderen Arbeitsstelle zugewiesen wie sein Landsmann, er muß im Freien arbeiten. Es soll ein weiteres Fabrikgebäude erstellt werden. Er hebt Gräben aus. Da die Wächter ziemlich desinteressiert sind, ist ihre Arbeit nicht allzu schwer. Aber es ist Winter, und die Kleidung sehr dünn, sie frieren bei 12 Stunden im Freien.

Im April 1943 wird Alexander Bojko ins KZ Buchenwald verlegt., während Alexander Nadtotschij als Facharbeiter in Allach bleibt. Alexander, noch heute ein Witzbold, setzt im KZ Buchenwald einem Meister die Essensschüssel auf den Kopf. Hierfür erhält er 25 Schläge mit der Peitsche, unmittelbar darauf muss er gleich wieder weiter arbeiten. Die Hand schwillt an, er kommt ins Lazarett und erhält Spritzen. Alexander erinnert sich, dass Vergehen immer sehr streng bestraft wurden, jeden Tag waren Strafen an der Tagesordnung.

Alexanders Aufgabe in Buchenwald bestand u.a. darin, nach zwei Bombardierungen des Lagers die Bomben zu entschärfen. Wegen der Bombardierungen verlegen die Nazis ihre Waffenproduktion in Stollen.

Er kommt nach Eisenach und arbeitet dort in einer unterirdischen Abteilung, wo sie auch untergebracht waren (vielleicht Nordhausen-Dora?). Die Meister tragen ein Abzeichen, Alexander meint, es sei BMW IV gewesen. Nur einmal pro Woche kommen sie an die frische Luft, alle Arbeitsstellen waren unter der Erde. Er erinnert sich, dass es fast jede Nacht Luftangriffe gab und sie kaum schlafen konnten.

Alexander arbeitet als Helfer im Magazin, händigt Werkzeuge an die Arbeiter aus. Gleichzeitig packt er Teile in Kisten, die wie Schildkröten aussahen, aber er kann nicht sagen, welche Funktion diese Teile hatten. Mit der Behandlung beim Kommando Eisenach war er recht zufrieden, der Meister behandelte ihn fair.

Am 7.3.1945 wird er in ein Außenlager des KZ Natzweiler versetzt , am 13. April 1945 wieder nach Dachau. Als die Amerikaner immer näher rücken, werden die Zwangsarbeiter von Dachau, den Außenlagern Kaufering und Allach in Richtung Süden getrieben. Alexander ist auf dem Todesmarsch ins Würmtal unterwegs. Sie schlafen wieder im Freien, die Kälte ist auch heute noch Alexanders größter Feind, er verträgt sie nicht.

Niemand bietet ihnen Essen an, sie fangen Frösche und sammeln Kräuter und ernähren sich davon. Alle Gefangenen sind sehr ausgehungert. Als ein Wachmann seinem Kollegen Brot bringt, wollen einige Italiener am Brot teilhaben. Der Wachmann erschießt den angreifenden Italiener , die bei den Deutschen wegen des Waffenstillstandes von Badoglio mit den Alliierten besonders verhasst waren.

Alexander schätzt, dass mit ihm noch 200-300 Gefangene mit ihm unterwegs waren. Er war so schwach, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Aber sein Überlebensinstinkt befiehlt ihm, sich nicht am Ende des Zuges aufzuhalten, wo die Schwächsten einfach erschossen wurden. Unterwegs erhält er einmal von einem Bauern eine gekochte Kartoffel und eine Handvoll Weizenkörner. Die schlingt er hinunter, aber danach wird es ihm erst recht übel und er kann sich kaum noch aufrecht halten. Alexander wiegt weniger als 40 kg. Am 29. April ist auch für ihn der Krieg zu Ende, seine Haut ist ganz schwarz und löst sich in Schichten vom Körper ab. Er erinnert sich, dass ihm Tschechen Brot und 5 Schüsseln Suppe zu essen gaben, aber das hätte er fast nicht überlebt. Sein Darm beginnt zu bluten, er kommt für 14 Tage ins Lazarett.
Nach einigen Wochen wird er gemeinsam mit seinen Landsleuten nach Leipzig an die Sowjets überstellt. Es ist davon die Rede, dass sie im russisch- Japanischen Krieg zum Einsatz kommen sollen. Glücklicherweise kommt es nicht mehr zu diesem Krieg, er bleibt bis Anfang 1946 in Leipzig, dann wird er zurückgeführt bis in die Nähe von Kiew, aber er darf nicht nach Hause, sondern wird verlegt nach Charkow an die Militärschule. Seinen Leidensweg in Deutschland verschweigt er. Auch seine Mutter wird vom KGB befragt. Mittlerweile gab es von Stalin einen Befehl, der es untersagte, dass ehemalige Kriegsgefangene eine Militärausbildung machen durften. Also wird er aus der Militärschule entlassen und Alexander erhält einen Jahresausweis, der ihn berechtigt, in Kiew zu arbeiten. Dort wird er bei der Produktion von Musikinstrumenten eingesetzt. 1949 heiratet Alexander Valentina, aber die Ehe hat nicht lange Bestand. Valentina mag es nicht, dass er oft nächtelang mit dem Akkordeon sein Geld verdient. 1961 geht er eine zweite Ehe mit Hanna ein, mit der er zwei Töchter , Olga und Nadja .

Alexander Bojko ist noch heute ein dem Leben zugewandter Mann, er sprüht von Energie, manchmal ist er auch sarkastisch. Ich kann sehr gut verstehen, dass er seine Erniedrigung durch die nationalsozialistischen Schergen nicht vergessen hat. So sieht er meinen Besuch als späten, wenn nicht zu späten Versuch der Wiedergutmachung an.

Die Familie Bojko zeigen Größe, sie tischen ihren Gästen (Lubov, den beiden Fahrern, einer davon ist der Sohn von Fedir Schawritzkij und mir) wahrhaftig ein Festmahl auf und bei Wodka werden Trinksprüche auf die Freundschaft ausgesprochen und der Wunsch, dass sich ein solcher Rückfall in die Barbarei nie mehr ereignen möge.


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