Zwangsarbeit - Überblick -
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Zwangsarbeit im Nationalsozialismus

Historische Forschung

Die historische Forschung hat sich seit nun eineinhalb Dekaden dem Aspekt der Zwangsarbeit gewidmet, allen voran Ulrich Herbert mit seiner bahnbrechenden Studie zu "Politik und Praxis des Ausländer-Einsatzes". Zahlreiche Einzelpublikationen sind seit 1985 erschienen, die eine präzise Vorstellung von der kriegswirtschaftlichen Bedeutung und der Größenordnung des "Ausländereinsatzes" vermitteln.

Zwangsarbeit als Massenphänomen

Zwangsarbeit von Männern und Frauen in Deutschland war zwischen 1939 und 1945 ein Massenphänomen. Es gab kaum ein Unternehmen, kaum einen gewerblich tätigen Betrieb, der nicht dauerhaft von der Arbeitsleistung ausländischer Zivilarbeiter, Kriegsgefangener oder KZ-Häftlinge profitiert hätte.

Zwangsarbeit im II. Weltkrieg prägt Ortstopographie

Es gab in Städten und Gemeinden kaum ein Viertel, kaum einen Straßenzug, in dem nicht ein Barackenlager und Ausländerunterkünfte das Straßenbild prägten. Ein dichtes Netz von Lagern und Quartieren unterschiedlichster Bauart und Größe überzog die gesamte örtliche Topographie.

Bedeutung für die deutsche Wirtschaft und Infrastruktur

Ohne die Arbeitskraft der ausländischen Männer und Frauen wäre nicht nur die gesamte deutsche industrielle Zivil- und Rüstungsproduktion zum Erliegen gekommen, auch die Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen wären zusammengebrochen - mit fatalen Konsequenzen für die einheimische Bevölkerung.

Reichsbahn, Reichspost, kommunale Unternehmen konnten ihren Betrieb während der Kriegsjahre nur durch den Einsatz von Zwangsarbeitern aufrechterhalten. "Fremdarbeiter" wurden auch eingesetzt in der Grundstoffindustrie, in der Landwirtschaft, im Handwerk, in der Bauwirtschaft, im Handel, in der Gastronomie, sogar im Kulturbereich und bei kirchlichen Einrichtungen. Die wichtigsten Arbeitgeber aber waren die vielen mittleren und großen Industriebetriebe, die meist für die Kriegsmaschinerie produzierten.

Ausländereinsatz basierte auf Terror

Das System "Ausländereinsatz" in Deutschland basierte auf Entrechtung, Ausbeutung, Terror. Unternehmen wurden keineswegs - wie in der Vergangenheit oft und apologetisch behauptet wurde - zum Einsatz von Zwangsarbeitern gezwungen. Arbeitgeber haben oft genug aus eigener Initiative ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter beantragt, geradezu händeringend um die Zuweisung gebettelt.

Der "typische" Zwangsarbeiter

Wir wissen, aus welchen Ländern die Menschen verschleppt wurden, wie alt sie waren, wo und was sie gearbeitet , wo und wie sie untergebracht waren. Der "typische" Zwangsarbeiter, oder besser die "typische Zwangsarbeiterin" war eine 17-jährige Schülerin aus einer Kleinstadt oder einem bäuerlich geprägten Dorf in der Ukraine.

Geringer Kenntnisstand über den Erlebenshorizont der Zwangsarbeiter

Dennoch: wir wissen von den Menschen, um die es geht, nur sehr wenig. Die persönliche Erfahrungs- und Wahrnehmungsebene der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ist uns nach wie vor fremd. Wir haben kaum Kenntnis vom Alltagsleben der ausländischen Arbeitskräfte im Deutschland der Kriegsjahre, einem Alltagsleben, das geprägt war von Leid und Unrecht, von Zerstörung und Terror, von ruinierter Gesundheit, gestohlener Lebenszeit und verlorenen Perspektiven.

Ursache des defizitären Kenntnisstandes

Die Quellen, mit welchen Historiker über dieses Thema arbeiten, sind Produkte des NS-Behördenapparats. Die Gestapo fragte nicht nach Hunger oder Übermüdung, nach Heimweh oder nach verzweifelter Angst vor einem brutalen deutschen Vorarbeiter, sondern konzentrierte sich ausschließlich auf das Delikt, fokussierte auf die vermeintliche sicherheitspolizeiliche Gefahr und auf die folgerichtig anzuwendenden Disziplinierungsmaßnahmen. Der NS-Staat nahm die Lebens- und Arbeitssituation der ausländischen Männer und Frauen ausschließlich unter dem Aspekt ihrer Leistungsfähigkeit und -steigerung wahr.

Erforschung der Alltäglichkeit des Arbeitseinsatzes vonnöten

Ein Desiderat der Forschung bleibt die Untersuchung der Alltäglichkeit und Normalität des Arbeitseinsatzes. Charakteristisch war für diese Normalität keineswegs eine homogene, allgemein verbindliche und überall gleichförmige Lebenserfahrung. Nur durch lokalbezogene Studien und der Befragung der Betroffenen in einem Oral History Projekt ist eine Differenzierung und Individualisierung der Alltagserfahrung der Zwangsarbeiter möglich.

Differenzierung des Alltags abhängig von verschiedenen Faktoren

Die Lebenslage des Einzelnen war auch ganz entscheidend abhängig von seiner Gruppenzugehörigkeit, denn die Reichweite der sozialen Deklassierung und die Intensität von Lebensrisiken stand in ursächlichem Zusammenhang mit dem von der NS-Führung etablierten System aus Rassenhierarchie und Ungleichbehandlung der einzelnen Ausländergruppen.
Daneben spielten weitere Faktoren eine Rolle: die Umwelt, das Umfeld, in dem Zwangsarbeit stattfand, also regionale, lokale Mentalitäten, konfessionelle Dispositionen, ökonomische Strukturen, Wirtschaftszweige, Betriebsgrößen usw. usf.

Leiden der Ostarbeiter nach ihrer Rückkehr in die Heimat

Zur lebensgeschichtlichen Zäsur, welche die Verschleppung nach Deutschland bedeutete, kommt noch ein weiterer Aspekt: die Repressalien und Schikanen, die neuerlichen Verfolgungen und Ausgrenzungen, denen etwa die sogenannten "Ostarbeiter" nach der Rückkehr in ihre Heimat ausgesetzt waren.
Erst aus den Gesprächen mit den Betroffenen erfahren wir, dass diese Menschen Opfer zweier Diktaturen wurden - und immer noch sind. Es klingt absurd: den sowjetischen Machthabern galten die nach Deutschland verschleppten Männer, Frauen und Kinder als Kollaborateure, als Verräter.

Sie hatten deshalb nicht nur unter den bösartigen Verdächtigungen der Geheimdienste, der Staatsführung und der kommunistischen Parteikader zu leiden. Auch ihre Ausbildungsmöglichkeiten, ihr berufliches Fortkommen wurden erheblich behindert.

Nicht wenige wurden sogar Opfer neuerlicher Deportation, wurden zur jahrelangen Zwangsarbeit nach Sibirien geschafft. Aus Furcht vor Repressalien haben wohl die meisten von ihnen bis in die 90er Jahre hinein über ihr Schicksal während des Krieges geschwiegen. Wir sollten die Chance zur Erforschung ihrer Schicksale nutzen.

Literatur:

Wolfgang Kucera, Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge in der Augsburger Rüstungsindustrie, Augsburg 1996; S. 6-28; S.108-112

Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin 21999

Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001

Dr. Katja Klee/Fritz Schäffer, Zwangsarbeiter in Deutschland, Freising 2000, S.1-114

Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, München 2001

Andreas Heusler, Die Lebens- und Arbeitssituation der Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft, in: Klaus Barwig/Dieter B. Bauer/Karl-Joseph Hummel (Hrsg.), Zwangsarbeit in der Kirche. Entschädigung, Versöhnung und historische Aufarbeitung, Hohenheimer Protokolle Bd. 56, 2001


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