In
Mannheim angelangt, eilte ich mit größter Begierde, den
Antikensaal zu sehen, von dem man viel Rühmens machte. Schon
in Leipzig, bei Gelegenheit der Winckelmannschen und Lessingschen
Schriften, hatte ich viel von diesen bedeutenden Kunstwerken
reden hören, desto weniger aber gesehen ...
Direktor Verschaffelts Empfang war freundlich. Zu dem Saale
führte mich einer seiner Gesellen, der, nachdem er mir aufgeschlossen,
mich meinen Neigungen und Betrachtungen überließ. Hier stand
ich nun, den wundersamsten Eindrücken ausgesetzt, in einem
geräumigen viereckten, bei außerordentlicher Höhe fast kubischen
Saal, in einem durch Fenster unter dem Gesims von oben wohl
erleuchteten Raum: die herrlichsten Statuen des Altertums
nicht allein an den Wänden gereiht, sondern auch innerhalb
der ganzen Fläche durcheinander aufgestellt; ein Wald von
Statuen, durch den man sich durchwinden, eine große ideale
Volksgesellschaft, zwischen der man sich durchdrängen mußte.
Alle diese herrlichen Gebilde konnten durch Auf- und Zuziehen
der Vorhänge in das vorteilhafteste Licht gestellt werden;
überdies waren sie auf ihren Postamenten beweglich und nach
Belieben zu wenden und zu drehen.
Nachdem
ich die erste Wirkung dieser unwiderstehlichen Masse eine
Zeitlang geduldet hatte, wendete ich mich zu denen Gestalten,
die mich am meisten anzogen, und wer kann leugnen, daß Apoll
von Belvedere, durch seine mäßige Kolossalgröße, den schlanken
Bau, die freie Bewegung, den siegenden Blick, auch über
unsere Empfindung vor allen ändern den Sieg davon trage?
Sodann wendete ich mich zu Laokoon, den ich hier zuerst
mit seinen Söhnen in Verbindung sah. Ich vergegenwärtigte
mir so gut als möglich das, was über ihn verhandelt und
gestritten worden war, und suchte mir einen eigenen Gesichtspunkt;
allein ich ward bald da-bald dorthin gezogen. Der sterbende
Fechter hielt mich lange fest, besonders aber hatte ich
der Gruppe von Ka-stor und Pollux, diesen kostbaren, obgleich
problematischen Resten, die seligsten Augenblicke zu danken
..."
Johann Wolfgang Goethe, Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil,
elftes Buch
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