Kurpfälzisches Museum Heidelberg:

Das Kunstwerk des Monats

Oktober 2002
- Sammlungsblatt -

Ernst Fries: „Via Mala“
(1820/21
)
nach einer Federzeichnung von Joseph Anton Koch (17681839)

Der in Heidelberg geborene Maler, Zeichner, Lithograph und Radierer Ernst Fries gehörte gemeinsam mit Carl Philipp Fohr und Carl Rottmann zu den herausragenden Künstlern der Neckarstadt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Für seine Druckgraphiken wählte er überwiegend die neue Technik der Lithographie. Da der Lithograph direkt auf den Stein zeichnet, bietet diese Technik, abgesehen von der Problematik des spiegelverkehrten Arbeitens, mehr oder weniger alle Möglichkeiten der freien Handzeichnung und eignet sich folglich in besonderem Maße für die druckgraphische Umsetzung zeichnerischer Vorlagen. Ernst Fries beschäftigte sich intensiv mit den technischen Möglichkeiten der Lithographie, insbesondere mit der Verwendung von Tonplatten, um mit Blick auf die Maßgaben von Lavierungen und Weißhöhungen der Vorlagen die malerische Wirkung der Ansichten zu erhöhen und eine möglichst hohe Plastizität und Lebendigkeit der Oberflächenstrukturen zu erreichen

Ein besonders gelungenes und virtuos umgesetztes Beispiel ist das Blatt „Via Mala", das er nach einer lavierten Federzeichnung in Grau und Braun von Joseph Anton Koch seitenverkehrt reproduzierte. Der Vorlage entsprechend entstand eine Federlithographie über zwei Tonplatten in Grauund Brauntönen. Beispielsweise im Bereich des Wasserfalls, des schneebedeckten Gipfels in der Ferne und der Modellierung der Gewänder dreier Wanderer im Vordergrund setzte Fries den hellen Papierton gezielt im Sinne einer Weißhöhung ein. Auch die beiden Tonplatten verwendete er systematisch, um mit den farblichen Abstufungen und der Verschattung verschiedener Partien eine der Vorlage entsprechende Plastizität und Tiefenwirkung zu erreichen.

Schon in den ersten Jahren seines Schaffens zeichnete sich Fries' zunehmende Begeisterung für Gesteinsformationen und vegetabile Formen ab, eine Tendenz, die ihn im druckgraphischen Bereich auch auf Arbeiten anderer Künstler, diemit ihrer Motivwahl seiner Liebe zum Detail, zu geomorphen Strukturen, zur Darstellung der Natur in ihrer atemberaubenden Schönheit und Urgewalt entgegenkamen, zurückgreifen ließ. Ansichten wie Kochs „Via Mala", die sich u. a. die Einzigartigkeit und das Überwältigende der Naturphänomene zum Thema machen und so Fries' Interesse für die Vielfalt der Oberflächenstrukturen in dem Zusammenspiel von bewegten Wassermassen, aufragenden Gesteinsformationen und wuchernder Vegetation entsprechen, gehörten zu seinen bevorzugten Motiven.

Das Blatt ist im Stein „ER nach W." bezeichnet. Dementsprechend wird vermutet, dass Ernst Fries die Federzeichnung der „Via Mala" für eine Arbeit von Georg Augustus Wallis (17701847) hielt, der ihm in vielem ein Vorbild war. Man kann jedoch davon ausgehen, dass in diesem Fall weniger der Künstler als die Wahl des Sujets, des Naturausschnittes für Fries ausschlaggebend war. Zudem hatten auch Kochs heroische Landschaften auf Fries, wie allgemein auf die junge Malergeneration, großen Einfluss.

Die südlich von Thusis gelegene „Via Mala", jene mehrere hundert Meter tiefe klammartige Schlucht des Hinterrheins im Kanton Graubünden, war berüchtigt wegen der Gefahren, insbesondere durch Steinschlag und Lawinen, die den Reisenden auf diesem Wege drohten. Erst 181824 wurde eine relativ sichere, besser befestigte Passstraße angelegt.

Die „Via Mala" ist eine der am häufigsten dargestellten Schluchten in den Schweizer Bergen. Sie galt vornehmlich den reisenden Künstlern des 19. Jahrhunderts als einer der malerischsten Orte der Alpen und war für sie einer der Hauptanziehungspunkte in Graubünden.

Zwischen 1792 und 1794 hielt sich Joseph Anton Koch in der Schweiz auf. Bei seinen Wanderungen durch die Alpen entstanden zahlreiche Naturstudien, eine Motivsammlung, auf die er bis ins hohe Alter zurückgriff. Die Darstellung der Enge und der schroff aufsteigenden Steilwände alpiner Pässe faszinierten ihn. In diesem Sinne übte auch die „Via Mala" eine besondere Anziehungskraft auf ihn aus.

Kochs Federzeichnung der „Via Mala" zeigt in starker Nahsicht die tief in den Fels eingeschnittene, bedrohlich wirkende Schlucht. Links windet sich der kaum befestigte Pfad am Abgrund entlang nach oben auf die 1739 etwa 70 m über dem Flusstal erbaute mittlere Brücke zu. Zu beiden Seiten türmen sich die fast senkrecht aufragen

den und in ganzer Höhe gespaltenen Kalkfelswände der Klamm empor. Mit der Wahl des Bildausschnittes, der Verbindung von sich auftürmenden Gesteinsmassen, hintereinander gestaffelten Bergmassiven, dem kleinen, den schroffen Fels herabstürzenden Wasserfall und dem im tiefen Einschnitt der Schlucht verschwindenden Wasserlauf des Hinterrheins entsteht eine Ansicht mit großer Tiefenwirkung. Etwas abseits vom Weg ist, in halbrunder Kompositionslinie den natürlichen Gegebenheiten der schroffen Felswände entsprechend, eine Figurenstaffage platziert. Zwei Männer und eine Frau blicken in die Tiefe der Klamm hinunter. Etwas weiter oben bewegt sich im Schatten eines Felsüberhangs auf den Serpentinen der Passstraße eine weitere kleine Figurengruppe. Im SichVorbeugen und dem sorgenvollergriffenen Hinabblicken in die Tiefe der Klamm veranschaulichen die drei Wanderer im Vordergrund die Macht der Natur und fordern zugleich den Betrachter auf, das großartige, erhabene Naturschauspiel mit ähnlichen Empfindungen wahrzunehmen.

„Große und erhabene Gefühle wurden in mir rege [...]", so beschrieb Koch seine Empfindungen angesichts des Rheinfalls von Schaffhausen und 1791 schrieb er in sein Tagebuch: „Die mit Wolken umhüllten und mit sibirischkaltem weißglänzendem Gewand umkleideten Alpen richteten ihre vom Alter ehrwürdigen Häupter gegen den beinahe auf ihnen ruhenden Himmel." In diesen Sätzen wird deutlich, welche Vorstellungen Koch mit den Bergen und allgemein mit der Natur verband. Seine dichterisch anmutende Beschreibung der Alpengipfel könnte man auch auf seine Ansicht der „Via Mala" beziehen. Durch die extreme Nahsicht und den außergewöhnlich kleinen Ausschnitt des Himmels am oberen Bildrand scheinen Himmel und Wolken direkt auf den steil aufstrebenden Felswänden der Klamm und auf dem im Einschnitt der Schlucht in der Ferne zu sehenden, fast entrückt wirkenden Gipfel zu ruhen.

Mit dem in starker Nahsicht wiedergegebenen Naturausschnitt, der klaren tektonischen Komposition, dem über der Klamm aufragenden Gipfel ist die Ansicht gleichsam wie ein Denkmal, ein majestätisches Naturmonument, das sich bis in den Himmel türmt, aufgebaut.

AnjaMaria Roth

siehe auch:
Via Mala, 1820/21

Federlithographie über zwei Tonplatten 47,8 x 34,2 cm (Darstellung), Inv. Nr. S 9921, KMH

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