Kurpfälzisches Museum Heidelberg:

Das Kunstwerk des Monats

Juli 2002
- Sammlungsblatt -

Willibald Kramm:
(Frankfurt/Oder 1891 - 1969 Hofgastein)

In der Bar

„Ich versuche mit meinen Bildern „Welt" sichtbar zu machen. Nochmals: Ich versuche es." W. Kramm, 1962

In einer kleinen autobiographischen Skizze „Der Weg zu den Dingen" (1960) schrieb der Künstler Willibald Kramm: „Was ich sah, war eine durch Zerstörungen verwandelte Stadt, die sich in gänzlich anderen Formen zeigte. Dinge, die vorher nicht zu existieren schienen, waren lebendig und nahmen mich gefangen. Es war mir unmöglich nur Trümmer zu sehen."
 

Kramm nannte sich selbst einen "Stadtläufer", auf der Suche nach dem verborgenen Wesen der Stadt, die er als Paradigma für das Leben selbst sah. Auf seinen zahlreichen Reisen beeindruckten ihn am nachhaltigsten italienische Städte : Ravenna, Pisa, Genua, Rom, Neapel. Ihnen setzte er in seinem 1957 veröffentlichten „Italienischen Tagebuch" ein Denkmal. „Ich suche die Stadt", sagte Kramm. In Italien, 1953 war er das erste Mal dort, wurde die Stadtlandschaft zu seinem Hauptthema, die Graphik trat als Technik in den Vordergrund : Feder und Tusche wurden zum ihmgemäßen Zeichenmittel. Sehr variabel entwickelte er einen eigenen Linienduktus, mit dem er die Schwingungen und Rhythmen der Stadt einzufangen versuchte, teilweise bis an die Grenzen der Karikatur. Helligkeit, Licht und Weite, ein präzises Deutlichwerden von Formen, Gestalten, Bewegungen und Zusammenhängen umschreiben, umzeichnen seine Bildräume.

Willibald Kramm zeigte 1946 in seiner ersten Heidelberger Ausstellung Darstellungen der Ruinen von Mannheim. Ansichten von Berlin und Heidelberg, wo er seit 1945 lebte, dokumentierten sein Interesse am städtischen Raumgefüge. 1951 fuhr er das erste Mal nach Paris wie viele andere Maler zu dieser Zeit auch, galt Paris doch als jene Metropole der Kunst, über die es hieß:" ...daß es auch heute noch für einen Maler unendlich schwer ist, sich in Deutschland einen Namen zu machen, wenn er nicht seinen Weg über Paris genommen hat, das beinahe zum malerischen Zentrum Deutschlands geworden ist." (M. de la Motte, 1957)

Zu Beginn der sechziger Jahre reiste Kramm nach London, wo er die Untergrundbahn als Thema entdeckte, 1963 erneut nach Paris. Dort entstand das „Pariser Skizzenbuch". Aus diesem Skizzenbuch erwarb das Kurpfälzische Museum im gleichen Jahr vom Künstler selbst drei Zeichnungen: ca. Din A 4 große, mattweiße Blätter, die am jeweils linken Formatrand aus dem Zeichenbuch herausgeschnitten wurden. An den übrigen Rändern ist noch der türkisfarbene Buchschnitt sichtbar. In Paris wurde der Stadtläufer Kramm zum Flaneur, der beobachtete, benutzte und bezeichnete: Straßencafes, Restaurants, Bars, das Personal und die Gäste.

„... von der Eckkneipe ohne Stühle angefangen, in der man dem Besitzer Auge in Auge gegenübersteht, wo man nur zwischen wenigen Flaschen wählen kann, bis zu dem großen Kasten im modern style, (...) , mit Goldfischen, Stiefelputzern und eßbaren Meerestieren, (...)von den Autobusgängen gleichenden Kneipen der Rue Douai, bis zu den Tabakläden des Boulevard de Clichy, die alle zehnmal, hundertmal am Tag andere Kunden haben. - Verdreckte Cafes, Cafes für die aus der Unterwelt, für alleinstehende Damen, für Musiker, für Klempner, all diese „Noyaux", diese „Pierrots", diese Cafes, diese Bars der Rue Lepic, diese halls der Place Clichy dienen den Kunden der Welt als Zuflucht. Denn der beste Bar- oder Cafebesucher der Welt ist immer noch der Franzose, der ins Cafe geht um ins Cafe zu gehen, der in die Bar geht,....." (Leon-Paul Lafargue).

Solche Etablissements skizzierte Kramm wohl in sein Zeichenbuch, benutzte das, was gut in die Jackentasche passte: Tuschfeder, Blei- und Filzstift, Kugelschreiber. Dinge und Figuren sind mit raschen, nervösen Strichen eingefangen, die lineare Ordnung der früheren Arbeiten ist hier aufgegeben. Die Hektik und das Geschiebe der Stadt schlägt sich in vielfältigen Graphismen wieder, Kürzel, Schlenker, Kritzelspuren bezeichnen die Interieurs. Die Menschen sind merkwürdig verformt, winzige oder monströse Köpfe sitzen auf Körpern wie Keulen oder Flaschen, „als füllten sie sich mit den unhörbar aufgenommenen Botschaften wie mit einem Trank." (Klaus Mugdan,1971)

„In der Bar", die sicher zu den „Autobusgängen gleichenden" gehört, stehen mehrere Männer schwatzend, trinkend, rauchend am Tresen - le zinc - ,der sich von links ins Bildformat schiebt samt Flaschen, Zapfsäule und der Registrierkasse. Ein krakelig notierter Barmann hantiert herum, hinter ihm ein Flaschenschrank mit den Zapfhähnen für Höherprozentiges. Die Gäste bilden ein gekritzeltes Liniengewirr, einer, mit dickem Schnurrbart, blickt zum Zeichner, zum Betrachter. Das Gedränge der Gäste wird oben am Blattrand mit einem Spirituosenregal und einem „Himmel" aus fettgezeichneten Filzstiftschwüngen eingerahmt. Der kleine Barraum ist vergittert und bedeckt von einer Art Horror vacui von Linien und Schraffuren.

Kramm, der sich auch mit Stimmbildung, Gesang und Atemtechnik beschäftigt hatte, zeichnete diese schnellen Skizzen dann wohl fast atemlos hechelnd, in staccatoähnlicher Geschwindigkeit. Erlebtes, Gesehenes wird in spontaner Form aus innerer Notwendigkeit zu Papier gebracht. Vielleicht schwingen auch Momente der Erinnerung an die heimische Kneipenszene Heidelbergs, mit der Kramm eng verwoben war, mit: dem „Gilbert" in Handschuhsheim, dem „Cave 54" und dem „Sole d'Oro" und vielen anderen in der Altstadt -Vorstellungen und Eindrücke werden in einer fast kindlich scheinenden Bildsprache dargestellt, in der Skizze klärt sich die Struktur des Gesehenen. Kramm handelt hier im Sinne von „Nulla dies sine linea".

Angelika Dirscherl

Literatur:

Willibald Kramm, Italienisches Skizzenbuch. Feldafing 1957

Wolfgang Rothe, Wegzeichen im Unbekannten. Neunzehn deutsche Maler zu Fragen der zeitgenössischen Kunst. Heidelberg 1962

Leon-Paul Lafargue, Der Wanderer durch Paris. Frankfurt 1967

Willibald Kramm 1891-1969, Ausstellungskatalog Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg. Heidelberg 1981

Paris - Paris 1937 - 1957, Ausstellungskatalog Centre Georges Pompidou, Paris 1981. München 1981

Willibald Kramm. Kafka und die 50er Jahre, Ausstellungskatalog Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg und Heidelberger Kunstverein, Hrsg. R. Dottori, Mailand 1991

siehe auch:
"In der Bar"
(Zeichnung, Tusche, Kugelschreiber, Filzstift)
Blatt aus dem "Pariser Skizzenbuch", 1963
29,7 x 20,8 cm, Inv.Nr. Z 4629
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