Michael Gerard Bauer: Nennt mich nicht Ismael.

Reihe Hanser 62435, 2010 - Don‘t call mit Ishmael (2006)

Der Held und Ich-Erzähler dieser Geschichte heißt Ismael Leseur und lebt in Australien, was jedoch für das Verständnis der Ereignisse nicht bedeutsam ist. Ismael ist 14 und mit den üblichen Minderwertigkeitskomplexen dieses Alters versehen. Diese werden verstärkt durch das Außergewönliche seines Namens, Ismael, der auf den Ich-Erzähler aus Herman Melvilles Roman Moby Dick“ zurückgeht und auch dadurch aus dem Rahmen fällt. Nach seinen eigenen Worten leidet er unter dem „Ismael-Leseur-Syndrom“.
Die Ereignisse, um die es geht, beginnen mit Ismaels Schulwechsel in die 8. Klasse und damit in die Highschool. Die Klase wird von einem gewissen Barry Bagsley und seinen Mitläufern beherrscht, auch Ismael wird - nicht zuletzt wegen seines Namens - verspottet und gedemütigt, kann sich aber im ersten Jahr noch einigermaßen aus der Schusslinie halten.
In der neunten Klasse bringen zwei Ereignisse Bewegung in die Geschichte: Zum einen die neue, junge Klassenlehrerin, welche recht geschickt mit Barry und seinen Mitläufern umzugehen versteht; und zum anderen ein neuer Klassenkamerad James Scobie, der klein, schmächtig, höchst intellektuell ist und erstaunlich furchtlos auf Bagsleys Einschüchterungsaktionen reagiert.
James Scobie sucht Mitstreiter für ein Team, das sich für die Schule auf einen Debatten-Wettbewerb vorbereitet, insgesamt kommen 5 Leute zusammen, darunter auch Ismael, dem versprochen wurde, dass der nicht selbst auftreten, sondern nur assistieren muss. Das geht zunächst gut, ändert sich aber, als Mitstreiter kurzfristig wegen Krankheit ausfallen. Da muss Ismael als Debattant einspringen, sein erster Auftritt endet in einer Katastrophe. Dies geschieht auch deswegen, weil er sich in die Hauptrednerin der Gegenpartei verliebt hat und gar nicht mehr richtig denken konnte.
Dennoch kommt das Team in die nächste Runde: Da fällt auch James Scobie aus, der zuvor den Erfolg garantiert hatte, so dass Ismael zum Chef des Teams avanciert. Dieses Mal erfahren sie das Thema der Debatte nicht Tage vorher, sondern nur eine Stunde, aber zum Glück ist es ein Thema, in welchem Bill K., der bisher ruhigste der Gruppe, sich genial gut auskennt, so dass sie sich vor vesammeltem Publikum bestens schlagen: Sie gewinnen zwar nicht den Wettstreit, dafür aber den Respekt der ganzen Schulgemeinde. Und Bill K. zieht den Hass und den Spott von Barry Bagsley auf sich.
Dessen Attacken und Demütigungen werden immer dreister, Bill will sich nicht wehren, aber Ismael will es jetzt mit Bagsley aufzunehmen, vor allem seit er endlich Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ zu lesen begonnen hat.

Und wie es jetzt weitergeht, wird nicht verraten ...

Kommentar:
Ich habe den Roman in seiner englischen Fassung gelesen und viel Freude an seinem Sprachwitz gehabt. Sprachlich sehr originell und kreativ sind sowohl die Guten (Ismael, James ) als auch Barry Bagsley, der Bully (= Mobbing-Täter). Es dürfte eine echte Herausforderung gewesen sein, den Roman angemessen zu übersetzen. Ein Sprachvergleich Deutsch-Englisch könnte sich in guten (bilingualen) Klassen durchaus anbieten.

Mehrere Themen werden ineinander verschränkt:

    Mobbing und wie man sich dagegen wehren kann,
    Debattieren und die Macht der richtigen Worte
    Selbstüberwindung, Misserfolg und Erfolg
    • Erste Liebe und gute Freundschaft
    Lesen und Lernen von literarischen Vorbildern
Die Gestaltung des Konfliktes zwischen Mobbing-Opfer und Täter ist eher konventionell und ein wenig altmodisch: Kein Cybermobbing, kein Stalking, keine physische Gewalt, das Mobbing beschränkt sich auf die direkte Konfrontation in Schule und Unterricht - was jedoch für das Opfer schlimm genug ist. Aber die Härte der Erniedrigung wird durch den Sprachwitz abgemildert. Es werden auch keine anderen Instanzen in diese Konfrontation mit einbezogen: Eltern, Lehrer, Schulleitung - das Opfer scheint mit sich und den Bullys allein zu sein.
Das Thema Mobbing tritt dann völlig in den Hintergrund, als der Debatten-Wettbewerb in Sicht kommt. Es ist, als wäre Bagsley in der Versenkung verschwunden, um dann allerdings in neuer Konstellation, verbunden mit James Scobies‘ Krankheit, erneut gegen die nun wieder schutzlosen Opfer vorzugehen. Sie müssen sich jetzt selber helfen, und das ist dann eben die eigentliche Bewährungsprobe.
Die erste Liebe kommt plötzlich, trifft den Getroffenen unerwartet und wirft ihn - dessen Selbstwertgefühl sowieso schon wenig ausgeprägt ist - aus der Bahn. Dieser Erzählstrang ist zwar nicht zentral, aber liebevoll gestaltet.
Die Kapitel über das Debattieren schließlich sind recht aufschlussreich, zeigen sie doch, wie der Dabattenwettstreit funktioniert und was es beim einzelnen auslösen kann, wenn nur das richtige Thema vorkommt. Debattieren kann auch spannend sein, vor allem für den Debattanten.
Alles in allem eine ergiebige Lektüre auch für das Klassenzimmer und die Klassen 6 bis 8. Eine Reihe von Recherche-Aufträgen bieten sich an und das Internet lässt einen hier nicht im Stich, im Gegenteil, eine Vor-Recherche durch die Lehrkraft ist angebracht.

Hintergrundwissen / Recherchen:
  • Wer ist Michael Gerard Bauer und was hat er noch geschrieben
  • Wie funktioniert das Schulsystem in Australien
  • Wer ist/war Hermann Melville und wovon genau handelt sein Roman "Moby Dick“
  • Wer war Ismael, der Sohn Abrahams und könnte das irgendetwas bedeuten.
  • Wo in der Literatur (angefangen in der Bibel) kommen noch Walfische vor.
  • Wie funktioniert Jugend debattiert


Sekundärliteratur: Besprechungen, Unterrichtsvorschläge, Links, Informationen:


Zum Anfang - KJL-Inhaltsverzeichnis - © Klaus Dautel - ZUM Internet e.V. -

20 10

Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.
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